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Frau Julie Kafka an Frau Anna Bauer
[Monogramm am Kopf des Bogens >H.K.<]
Meine liebe Anna!
Dein schöner lieber Brief hat mich beschämt und ich bitte Dich,
mir wegen meines langen Stillschweigens nicht böse zu sein. Ich war
jetzt immer so beschäftigt, dass ich faktisch nicht die richtige
Muße hatte, mich zum Schreiben zu setzen, es geht mir so ähnlich
wie Dir. Du hast Deine Plage mit der Wirtschaft und ich mit dem Geschäfte.
Die Hauptsache aber ist, dass wir alle gesund sind und es freut uns
zu hören, dass die l. Tante Emilie eine Sommerfrische sucht,
denn bei dieser Hitze, wie sie in Prag ist und wahrscheinlich nicht weniger
in Berlin, kann man sich nur am Lande nach einem Unwohlsein am besten erholen.
Wäre ihr nicht Franzensbad zu empfehlen? Sie sollte jedenfalls einen
Arzt fragen.
Wir haben uns in Franzensbad sehr erholt. Wir hatten vor 12 Tagen einen
sehr lieben Besuch meines Bruders Alfred aus Madrid. Leider hatte er sich
nur 4 Tage bei uns aufgehalten aber es waren schöne Stunden, die wir
mit ihm verlebten. Es war ihm leid, Euch nicht besuchen zu können,
denn er hätte sehr gerne unsere liebe Felice gesehen und umarmt. Er
versprach jedoch, so Gott will, sicher nächstes Jahr wieder zu kommen,
da er zum Congres nach Berlin fahren muß und so wird er die Gelegenheit
haben, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden und Euch zu besuchen.
Vom l. Karl, Deinem liebenswürdigen Manne, hatten wir einen sehr schönen
Brief und ich werde trachten, seine herzlichen Zeilen so bald als möglich
zu erwidern und bitte Dich, ihm dann das Schreiben nachzuschicken.
Für die Wohnung interessiere ich mich sehr, aber leider kann ich nichts
veranlassen, bis sie geräumt wird und dies wird wahrscheinlich nicht
früher sein, als am 14. August, dann werde ich schon schauen, dass
sie schön hergerichtet wird. Ich weiß mich nicht zu erinnern,
ob bei den Möbeln im Schlafzimmer oder Herrenzimmer ein Schlafdivan
sein wird, denn man muß auch an das Praktische denken, wenn sie Besuch
bekommen, wohin dann das Haupt niederlegen. Ich würde dann dem Franz
ein Gastbett herrichten, Pölster und Federbett und Decke und würde
Dich ersuchen um das Maas von den Überzügen, damit sie auch auf
die Betten, die Felice bekommt, passen. Natürlich muß [es] ein
Patentschlafsofa sein, wo man die Betten bei Tag aufbewahren kann. Bitte
mir darüber zu schreiben.
Jetzt schaue ich auf die Uhr und sehe, dass schon 11 Uhr Abend ist.
Mein lieber Hermann ist nach Radesovitz zu den Kindern gefahren und ich
sitze und schreibe und bin mit meinen Gedanken bei Euch. Bei Tag komme
ich absolut nicht dazu, einen Privat-Brief zu schreiben. Wenn man so allein
im Zimmer ist und Ruhe hat, so geht es rascher. Ottla ist schon im Bett
und Franz arbeitet in seinem Zimmer. Ich habe ihn soeben überrascht
und gesehen, wie er mit Wonne die Fotografie der l. Felice betrachtet.
Sie ist aber wirklich sehr gelungen. Sie ist sprechend ähnlich. Nun
das Papier geht zur Neige, die Augen sind fast geschlossen und so muß
ich schließen und zwar mit vielen vielen Grüßen von mir,
dem l. Vater und Kindern, die alle gesund und frisch sind, und bleibe in
Freundschaft Dich herzlichst umarmend
Julie Kafka
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at