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An Grete Bloch
Mein liebes Fräulein Grete, das ist allerdings ein sehr eindeutiger
Brief. Ich könnte sagen, dass ich Sie endlich überzeugt
habe. Früher als F., denn wir kennen einander erst seit November,
während um F. das erste Mal zu überzeugen, fast ein Jahr nötig
war, wobei ich allerdings hinzufügen muß, dass am Anfang
jenes Jahres mein Zustand ein ungewöhnlicher gewesen
ist, so dass die Länge der Zeit, die ich brauchte, um F.
zu überzeugen, verständlicher wird .
Es hat sich in unserem Verhältnis, Fräulein Grete, um nichts
anderes gehandelt (allerdings auf der, wie ich hoffe, von jeder möglichen
Erkenntnis möglichst unerschütterten Grundlage unserer Freundschaft)
als darum, Sie zu überzeugen. Sie hätten keine Briefe citieren
müssen oder vielmehr, es ist nicht genug, dass Sie sie citiert
haben. Wir haben, soweit es auf mich ankommt, nicht zweierlei sondern dreierlei
Zeiten miteinander verbracht. Ich meine damit die zwei Tage in Prag, die
Sie nicht erwähnten. Was in den Briefen steht, habe ich Ihnen schon
damals zu sagen versucht und war damals weder verlobt noch habe ich damals
um die Verlobung gekämpft, nur innerlich war Unruhe, allerdings.
Eine doppelte Unruhe wegen der Unmöglichkeit, zwei Fragen zu beantworten:
erstens, wie wird es F. gehn, wenn ich mich nicht mehr melde (übrigens
kam damals gleichzeitig mit Ihnen ein Brief von F.) und zweitens, wie wird
es mir gehn. Die Aussichten, die durch diese beiden Fragen eröffnet
wurden, schienen mir unerträglich. Damals mich auf die Fußspitzen
stellen und über alles hinweg die Aussichten zu suchen, die sich zeigen
würden, wenn ich mich meldete - das konnte ich allerdings nicht.
Nun habe ich Sie also überzeugt, Fräulein Grete, und Sie fangen
an, in mir nicht F.'s Bräutigam sondern F.'s Gefahr zu sehn. Das ist
deutlich, undeutlich wird Ihr Brief erst gegen Ende, wo Sie für F.
einen in verschiedener Hinsicht ebenbürtigen Mann verlangen. Entweder,
Fräulein Grete, man ist "heiter, temperamentvoll, intelligent
und grundgut" oder man ist es nicht, sondern ist traurig, schwerfällig,
auf sich eingeschränkt und vielleicht nach dem Guten strebend, aber
mit schwachen Kräften. Bessern kann man solche Zustände mit Absicht
nicht; menschliche Organisationen sind nicht Wasser, das man aus einem
Glas ins andere gießt. Schließlich ist man aber wirklich nicht
nur das, sondern ist auch gewiß nicht vollständig gesund und
zumindest neurasthenisch bis in den Grund hinein. Gewiß, das ist
ganz klar, geradezu triumphierend klar in diesen Tagen, in denen ich trotz
aller Pflege und trotzdem ich im Bureau wenig arbeite, vor Müdigkeit.
vergehe. Angenommen, ich wäre lustig, welche Lustigkeit könnte
in einer solchen Lage bestehe?
Sie fragen oder Sie werfen bloß die Frage auf, wie ich F. gegenüber
bin. Wenn Sie es nicht ausdrücklich ausgeschlossen hätten, hätte
ich gedacht, dass F. von Ihrem Brief weiß.
Übrigens habe ich heute Geburtstag, so bekommt Ihr Brief noch zufällig
eine besondere Feierlichkeit. (Übrigens habe ich außer Ihrem
Brief und zwei Kleinigkeiten heute noch einen sehr unangenehmen Brief bekommen.
Das macht aber nichts, Unannehmlichkeiten stärken mich merkwürdiger
Weise.) Ich bin von Ihrer Güte und Herzlichkeit vollständig überzeugt
und küsse in dieser Überzeugung Ihre Hand.
Ihr Franz K.
mein Zustand ein ungewöhnlicher gewesen ist:
Gemeint ist die Selbstgewißheit, die ihm damals seine literarische
Produktivität gab. Vgl. Briefe an Felice vom 1. November 1912, 2.-3.,
3.-4. und 17.-18. März 1913, S. 66, S. 321 ff. und S. 341.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at