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An Grete Bloch

26. VI. 14
 


Liebes Fräulein Grete, Sie wundern sich warum ich nicht schreibe, wie es mir geht [*]. Weil es schwer zu sagen ist. Ich schlafe z. B. zwar schlecht, aber viel besser als zur Zeit meiner letzten Klagen. Ich glaubte, die Gründe des Nichtschlafens erkannt zu haben und warf mich gegen sie. Nun brennt mich wieder anderes. Und ich fange an, Furcht zu bekommen, dass alles nur Vorspiegelungen sind, hinter denen der eigentliche Kern des eigentlichen Unglücks wartet, von dem ich noch gar nicht unmittelbar weiß, sondern nur durch seine unerträglichen Drohungen. Wie ist es mit Ihren Hauptgründen des Schweigens?

Was ist es für ein Schmerz im Fuß? Hatten Sie nicht einmal schon etwas derartiges?

Erna habe ich geschrieben, aber wie ich aus Ihrem Brief sehe, zu spät. Ich fahre wahrscheinlich morgen nach Hellerau, habe mich dort wenigstens schon angezeigt. Ob ich nächste Woche werde fahren können, weiß ich nicht, wir werden einander darüber noch schreiben. Wird Ihnen der Besuch des Präsidenten Ehren bringen? Ich kann nicht weiter schreiben, sehn Sie nur! Es drängt sich vieles, aber eines drängt das andere hinunter.

Und nur, um etwas Tröstliches mir zu holen und Ihnen zu schreiben, schlage ich dreimal die Bibel auf, die gerade neben mir liegt und finde schließlich den Satz: "Denn in seiner Hand ist, was unten in der Erde ist und die Höhen der Berge sind auch seine Aber es klingt mir fast ohne Sinn.


Herzlichste Grüße Ihres Franz K.


Gerade will ich den Brief schließen, schaue noch zufällig auf und sehe in einem Fach des Tischaufsatzes eine Karte mit dem Stempel Charlottenburg. Begreife das nicht, da ich in meinen Briefschaften vollständige Ordnung habe, sehe nach und finde die Schloßbrückenkarte, die mir jemand unauffindbar auf den Tisch gelegt hat, und die ich jetzt zum erstenmal in die Hand bekomme. So sieht es auf meinem Schreibtisch aus.


*] [Zwischen den Zeilen] Übrigens glaube ich, Ihnen in letzter Zeit 2 allerdings sehr geringfügige Briefe geschrieben zu haben.




Ich fahre wahrscheinlich morgen nach Hellerau: Vgl. Tagebücher (30. Juni 1914), S. 406f


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at