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An Grete Bloch
Liebes Fräulein Grete, Sie wundern sich warum ich nicht schreibe,
wie es mir geht [*]. Weil es schwer zu sagen ist. Ich schlafe z. B. zwar
schlecht, aber viel besser als zur Zeit meiner letzten Klagen. Ich glaubte,
die Gründe des Nichtschlafens erkannt zu haben und warf mich gegen
sie. Nun brennt mich wieder anderes. Und ich fange an, Furcht zu bekommen,
dass alles nur Vorspiegelungen sind, hinter denen der eigentliche
Kern des eigentlichen Unglücks wartet, von dem ich noch gar nicht
unmittelbar weiß, sondern nur durch seine unerträglichen Drohungen.
Wie ist es mit Ihren Hauptgründen des Schweigens?
Was ist es für ein Schmerz im Fuß? Hatten Sie nicht einmal schon
etwas derartiges?
Erna habe ich geschrieben, aber wie ich aus Ihrem Brief sehe, zu spät.
Ich fahre wahrscheinlich morgen nach Hellerau, habe mich
dort wenigstens schon angezeigt. Ob ich nächste Woche werde fahren
können, weiß ich nicht, wir werden einander darüber noch
schreiben. Wird Ihnen der Besuch des Präsidenten Ehren bringen? Ich
kann nicht weiter schreiben, sehn Sie nur! Es drängt sich vieles,
aber eines drängt das andere hinunter.
Und nur, um etwas Tröstliches mir zu holen und Ihnen zu schreiben,
schlage ich dreimal die Bibel auf, die gerade neben mir liegt und finde
schließlich den Satz: "Denn in seiner Hand ist, was unten in
der Erde ist und die Höhen der Berge sind auch seine Aber es klingt
mir fast ohne Sinn.
Herzlichste Grüße Ihres Franz K.
Gerade will ich den Brief schließen, schaue noch zufällig auf
und sehe in einem Fach des Tischaufsatzes eine Karte mit dem Stempel Charlottenburg.
Begreife das nicht, da ich in meinen Briefschaften vollständige Ordnung
habe, sehe nach und finde die Schloßbrückenkarte, die mir jemand
unauffindbar auf den Tisch gelegt hat, und die ich jetzt zum erstenmal
in die Hand bekomme. So sieht es auf meinem Schreibtisch aus.
*] [Zwischen den Zeilen] Übrigens glaube ich, Ihnen in letzter Zeit
2 allerdings sehr geringfügige Briefe geschrieben zu haben.
Ich fahre wahrscheinlich morgen nach Hellerau:
Vgl. Tagebücher (30. Juni 1914), S. 406f
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at