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Franz Kafka an Felicens Mutter, Frau Anna Bauer
Liebe Mutter!
Deine Karte habe ich erst spät bekommen. Was nicht in mein Bureau,
sondern in die Wohnung adressiert ist, kommt ins Geschäft, wo es,
besonders wenn die Mutter nicht da ist, verlegt wird und nur durch Zufall
wieder einmal hervorkommt. In der Zwischenzeit höre ich dann Gerüchte,
dass eine Karte für mich angekommen ist, die man zwar gelesen
hat, deren Inhalt man aber nicht genau kennt. So war es auch mit Deiner
Karte, liebe Mutter. Vielen Dank für Deine freundliche Aufmerksamkeit,
der Brief an Felice enthielt zwar Wichtiges wie immer, aber nichts Dringendes,
er konnte liegen bleiben.
Deine Bemerkung über den erwarteten und nicht gekommenen Brief hat
mich traurig gemacht. Natürlich bist Du im Recht, das ist selbstverständlich.
Ihr habt meine Eltern und die Schwester und mich über alle Vorstellung
hinaus schön und lieb empfangen und bewirtet und behandelt. Ich hatte
allen Grund, Euch von Herzen dankbar zu sein und es Euch zu sagen und zu
schreiben. Ich habe es nicht getan.Warum? Siehst Du, liebe Mutter, hier
ist einer der Fehler, die ich habe, mit denen Du nie einverstanden sein
wirst. Es handelt sich auch in diesem Fall nicht gerade nur um das Schreiben,
das weiß ich sehr wohl, trotzdem sogar das Schreiben hier durchaus
nicht nur Sache der Form, sondern Sache des Herzens gewesen wäre.
Trotzdem - ich bin nicht schlechter als einer, der geschrieben hätte,
glaube mir.
Und nun küsse ich Dir herzlichst die Hand und bitte Dich, alle die
Deinigen von mir zu grüßen, in Berlin und auswärts.
Dein Franz
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at