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An Grete Bloch
Liebes Fräulein Grete, vor allem: ich war weder böse noch hatte
ich Grund dazu und ich könnte höchstens darüber böse
sein (und auch darin natürlich nur auf mich), dass Sie der letzte
Brief nicht an sich davon überzeugen konnte. Eher war es eine krankhafte
Überreiztheit (eine einzige besonders schlechte Nacht kann das schon
besorgen, da ich in meinem Zustand auf jede Nacht, auf jede Hoffnung des
Schlafes angewiesen bin. Ich muß auch heute aufpassen, denn die letzte
Nacht war äußerlich wie die erste Nacht des Verbrechers nach
der Tat. Immerfort aufgeschreckt und unter kurzen Gebeten wieder eingeduselt.
Es gab aber schon bessere Nächte in der Zwischenzeit), es war also
vielleicht eine Überreizung, die mich dazu brachte, fast mit Bewußtsein
im Brief Dinge zu lesen, die dort nicht standen und die, selbst wenn sie
dort gestanden wären, ihren Ursprung, Ihr gutes großes Herz
nicht verleugnet hätten. Aber es machte mir irgendeine Freude, mir
von Ihnen, sei es auch in der Einbildung, etwas Grobes sagen zu lassen,
und ich war böse genug, dieser Verlockung nachzugeben.
Mein "Bekenntnis" fassen Sie im allgemeinen richtig auf und
erstaunen demgemäß auch richtig. Nur den Mittelpunkt des "Bekenntnisses"
fassen Sie nicht genau und der ist (bei einer gewissen Eingrenzung und
Nichtbeachtung von Einzelheiten) sehr einfach, leider sehr einfach. Unter
den angeführten Punkten ist nämlich einer, von dem (Ottla war
jetzt hier und hat mich mit ihren Erzählungen vom Blinden, zu dem
sie jetzt mit einem Rosenstrauß gehn wird, zerstreut) aus alles beherrscht
wird. Es ist, wie Sie leicht sehn werden, mein Gesundheitszustand, das
was Sie "nichts" nennen. Wäre ich gesünder und fester,
wären alle Schwierigkeiten überwunden, ich wäre längst
nicht mehr im Bureau, ich wäre F.'s ganz sicher und der ganzen Welt
sicher; was mir noch fehlen würde, könnte ich aus meiner Gesundheit
ersetzen, während ich jetzt alles auf meine Gesundheit rückbeziehen
muß. Soll ich darüber noch mehr sagen? Auch dieser Gesundheitszustand
ist täuschend, täuscht selbst mich, zu jeder Zeit kommen, auf
Nuancen genau, die gerade für die Zeit ungelegensten Überzeugungen.
Eine ungeheuerliche Hypochondrie, gewiß; die aber so viele und tiefe
Wurzeln in mich geschlagen hat, dass ich mit ihr hänge und falle.
Sie heben meine "Hartnäckigkeit" als gutes Zeichen hervor.
Darin liegt etwas Wahrheit. Hartnäckigkeit kann aber auch das Ergebnis
der Verzweiflung sein.
Der Gesundheitszustand liegt eben auf einer Wagschale, alles andere von
mir angeführte auf der andern. Es gibt einen Zeitpunkt, wo das Ganze
in Schwebe ist und auf Entscheidung wartet. Entweder die Gesundheit ist
stark genug, hebt die andere Wagschale und läßt alles, was auf
ihr ist, in Luft zergehn, oder aber sie hält nicht stand, wird selbst
gehoben und nun endlos von dem Inhalt der andern Wagschale geheizt und
zu einem wirklichen Gespenst ausgebrütet.
Von Tante E.'s Krankheit erfahre ich erst durch
Sie. Da gegen weiß ich wohl, dass ich Erna noch nicht geschrieben
habe und es, auch meinem Bedürfnis nach, tun sollte. (Erna kam mir
manchmal fast großartig vor.) Dann müßte ich aber auch
Toni schreiben und meine Hand ist, so lieb mir auch Toni ist, unsinnig
schwerfällig. Für Else habe ich mich schließlich doch überwunden.
Traurig hat mich gemacht, dass Sie meinetwegen so lange wachgeblieben
sind, tun Sie es nicht wieder. Zufrieden dagegen war ich, dass es
Ihnen bei gutem Willen auch möglich ist, um ½6 aus dem Bureau
wegzugehn. Wie wäre es, wenn Sie mit F. schwimmen lernen würden?
Ihr FranzK.
Tante E.'s: Tante Emilie. Eine Tante Felicens, Schwester
des Vaters.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at