Voriger Eintrag Jahresübersicht | IndexseiteNächster Eintrag

 

An Grete Bloch

14. VI.14
 


Liebes Fräulein Grete, vor allem: ich war weder böse noch hatte ich Grund dazu und ich könnte höchstens darüber böse sein (und auch darin natürlich nur auf mich), dass Sie der letzte Brief nicht an sich davon überzeugen konnte. Eher war es eine krankhafte Überreiztheit (eine einzige besonders schlechte Nacht kann das schon besorgen, da ich in meinem Zustand auf jede Nacht, auf jede Hoffnung des Schlafes angewiesen bin. Ich muß auch heute aufpassen, denn die letzte Nacht war äußerlich wie die erste Nacht des Verbrechers nach der Tat. Immerfort aufgeschreckt und unter kurzen Gebeten wieder eingeduselt. Es gab aber schon bessere Nächte in der Zwischenzeit), es war also vielleicht eine Überreizung, die mich dazu brachte, fast mit Bewußtsein im Brief Dinge zu lesen, die dort nicht standen und die, selbst wenn sie dort gestanden wären, ihren Ursprung, Ihr gutes großes Herz nicht verleugnet hätten. Aber es machte mir irgendeine Freude, mir von Ihnen, sei es auch in der Einbildung, etwas Grobes sagen zu lassen, und ich war böse genug, dieser Verlockung nachzugeben.

Mein "Bekenntnis" fassen Sie im allgemeinen richtig auf und erstaunen demgemäß auch richtig. Nur den Mittelpunkt des "Bekenntnisses" fassen Sie nicht genau und der ist (bei einer gewissen Eingrenzung und Nichtbeachtung von Einzelheiten) sehr einfach, leider sehr einfach. Unter den angeführten Punkten ist nämlich einer, von dem (Ottla war jetzt hier und hat mich mit ihren Erzählungen vom Blinden, zu dem sie jetzt mit einem Rosenstrauß gehn wird, zerstreut) aus alles beherrscht wird. Es ist, wie Sie leicht sehn werden, mein Gesundheitszustand, das was Sie "nichts" nennen. Wäre ich gesünder und fester, wären alle Schwierigkeiten überwunden, ich wäre längst nicht mehr im Bureau, ich wäre F.'s ganz sicher und der ganzen Welt sicher; was mir noch fehlen würde, könnte ich aus meiner Gesundheit ersetzen, während ich jetzt alles auf meine Gesundheit rückbeziehen muß. Soll ich darüber noch mehr sagen? Auch dieser Gesundheitszustand ist täuschend, täuscht selbst mich, zu jeder Zeit kommen, auf Nuancen genau, die gerade für die Zeit ungelegensten Überzeugungen. Eine ungeheuerliche Hypochondrie, gewiß; die aber so viele und tiefe Wurzeln in mich geschlagen hat, dass ich mit ihr hänge und falle. Sie heben meine "Hartnäckigkeit" als gutes Zeichen hervor. Darin liegt etwas Wahrheit. Hartnäckigkeit kann aber auch das Ergebnis der Verzweiflung sein.

Der Gesundheitszustand liegt eben auf einer Wagschale, alles andere von mir angeführte auf der andern. Es gibt einen Zeitpunkt, wo das Ganze in Schwebe ist und auf Entscheidung wartet. Entweder die Gesundheit ist stark genug, hebt die andere Wagschale und läßt alles, was auf ihr ist, in Luft zergehn, oder aber sie hält nicht stand, wird selbst gehoben und nun endlos von dem Inhalt der andern Wagschale geheizt und zu einem wirklichen Gespenst ausgebrütet.

Von Tante E.'s Krankheit erfahre ich erst durch Sie. Da gegen weiß ich wohl, dass ich Erna noch nicht geschrieben habe und es, auch meinem Bedürfnis nach, tun sollte. (Erna kam mir manchmal fast großartig vor.) Dann müßte ich aber auch Toni schreiben und meine Hand ist, so lieb mir auch Toni ist, unsinnig schwerfällig. Für Else habe ich mich schließlich doch überwunden.

Traurig hat mich gemacht, dass Sie meinetwegen so lange wachgeblieben sind, tun Sie es nicht wieder. Zufrieden dagegen war ich, dass es Ihnen bei gutem Willen auch möglich ist, um ½6 aus dem Bureau wegzugehn. Wie wäre es, wenn Sie mit F. schwimmen lernen würden?

Ihr FranzK.




Tante E.'s: Tante Emilie. Eine Tante Felicens, Schwester des Vaters.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at