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An Grete Bloch

21. V. 14
 


Keinen Baldriantee, liebes Fräulein Grete, bitte nicht. Oberster Satz der Naturheilkunde: "Alles, was schlecht ist, ist wirklich schlecht." Schlechter Schlaf ist zwar auch schlecht und das Wachsein nach schlechtem Schlaf noch schlechter (so ist es fast Tag für Tag), aber man hat wenigstens im Augenblick keine eigentliche Verantwortung dafür, man hat es bekommen und trägt es. Aber mit Bewußtsein Baldriantee zu trinken, womöglich während des Trinkens in die Tasse schauen mit der doppelten Hoffnung, dass sie bald leer sein wird und dass es etwas helfen wird, das ist doch menschenunwürdig.

Ich schlafe doch nicht deshalb schlecht, weil ich zu wenig Baldriantee im Leib habe, es gibt 100 Gründe dafür, warum ich schlecht schlafe, aber dieser eine Grund trifft gewiß nicht zu.

Schon letzthin wollte ich es Ihnen schreiben, habe aber daran vergessen. Denken Sie, ich habe zufällig, als F. hier war, herausgefunden, welches der Hauptgrund meines alten Verdachtes gegen Sie gewesen ist. (Übrigens kann jener Verdacht durchaus nichts Schlechtes gewesen sein, da er der Anfang einer für mich so guten Sache war.) Dieser Hauptgrund war Ihr Pelzwerk. Ich habe es damals nicht gewußt. Ich habe Ihnen doch schon gesagt, dass ich Sie mir entsprechend dem Begriffsinhalt, den Geschäftstüchtigkeit für mich hat, falsch vorgestellt hatte, ich erwartete, ein großes, starkes, älteres Mädchen zu treffen. Nichts stimmte nun, so hätte sich ja meine Phantasievorstellung mit der Wirklichkeit ausgleichen können. Daran hinderte mich aber hauptsächlich, wie ich jetzt weiß, Ihr Pelzwerk. Eine Boa war es nicht, ich glaube, man nennt dieses Kleidungsstück Stola oder ähnlich. Es paßte Ihnen nicht oder vielmehr ich merkte nicht, dass es Ihnen nicht paßte, es gefiel mir bloß nicht. Dabei war es im ersten Anblick so auffallend für mich dort im Eingang des Hotels. Auch habe ich seit jeher gegen diese Art der Pelzbehandlung (Ausbreiten des Pelzes und unten Seidenfütterung) einen entschiedenen Widerwillen. Vielleicht spielt hierbei irgendein Gedanke daran mit, dass nomadenhafte Jäger die Felle so tragen dürfen, allerdings ohne sie mit Seide zu füttern. Auch ist für mich damit eine Vorstellung von Ärmlichkeit und Unechtheit verbunden, dass bei diesem Kleidungsstück oben Pelz und unten nur Seide ist, trotzdem ich natürlich weiß, dass das Ganze sehr kostbar sein kann und dass es überhaupt nicht möglich ist, in dieser Form oben und unten Pelz zu haben. Aber schon in dieser flächenhaften Behandlung des Pelzes liegt für mich etwas Widerliches, der Anblick dieses Plattgedrückten ist mir peinlich, hat mich schon in frühem Jahren an meinen Schwestern viel geplagt. - Und diese Vorstellung Ihres Pelzes hat sich mir lange nicht von der Vorstellung Ihrer Person losgelöst. Immer wieder sah ich Sie in der Zeit, da wir einander noch nicht schrieben, von diesem Pelz umwickelt, Sie spielten mit den Enden (seine Beweglichkeit und Anpassungsfähigkeit machte mir ihn noch ärger), Sie hielten ein Ende vor den Mund wegen des Nebels. Ich weiß noch, wie ich aufatmete, als ich Sie auf dem Bahnhof in einem schönen Reisemantel, endlich ohne Pelz, förmlich freier, reiner, heller sah. Es war aber schon zu spät: - Heute allerdings dürften Sie von 500 solchen Pelzen umwickelt sein und ich getraute mich, Sie aus allen zu befreien.

Franz K.


[Auf der ersten Seite unten] Ich bin aus verschiedenen Gründen, über die ich Ihnen noch schreiben werde, sehr begierig auf den Eindruck, den der "Kampf" auf Sie machen wird. Wollten Sie nicht auch Dr. Weiß paar Zeilen schreiben?


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at