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An Felice Bauer

19. V. 14
 


Das Wetter ist hier auch sehr schön, man nützt es leider nicht sehr gut aus, liegt nicht im Wald, wie es eigentlich sein müßte, aber man nützt es auch nicht wieder so schlecht aus, dass man an dem kostbaren Sonntagnachmittag mit Tante Emilie im Zimmer über die Ausstattung verhandelt. Wenn dadurch die Ausstattung beschleunigt, der Anlaß ihrer Verwendung nähergerückt würde dann wäre allerdings kein Sonntagnachmittag zu kostbar, aber da dies nicht so ist -

Dieses Wetter bringt auch die Fehler unser[er] Wohnung, die ich allerdings schon definitiv genommen habe, besonders deutlich zu Bewußtsein und die Notwendigkeit des nächstsommerlichen Umzugs ist fast unabweislich. Im Winter mag sie recht gut sein: Man ist zwischen Häusern, abgeschlossen, warm, hat doch genug Sonne und Luft. Aber für andere Jahreszeiten ist es dort ein wenig traurig, kein Grün vor dem Fenster, nur eine ziemlich lärmende, ziemlich öde Gasse, allerdings liegt es an einer platzartigen Erweiterung der Gasse, immerhin sieht man die gegenüberwohnenden Parteien und wird gesehn. Infolgedessen wird auch wenigstens für die 2 Zimmer mit Gassenaussicht ein Möbelstück nötig, das sonst nicht nötig gewesen wäre. Welches? (Übung des Scharfsinns)

Die Pläne werde ich mir verschaffen, wenn auch meine letzte Zeichnung ganz vertrauenswürdig ist. Du mußt Dich nur nicht von der äußern Form abhalten lassen, sie zu studieren und Dich in sie einzuleben. Versuch nur, durch die gezeichneten Zimmer zu spazieren, aus dem Fenster Dich hinauszulehnen u.s.f. und Du wirst eine ganz genaue Vorstellung von der Wohnung bekommen. Genauer wäre allerdings die Vorstellung, die Du bekämest, wenn Du einen Ausflug nach Prag machtest, um Dir die Wohnung wirklich anzusehn. Über den Zustand meines Fingers verrate ich nichts. Du mußt ihn aus dem Zustand meiner Handschrift zu erkennen suchen. Immerhin könnte ich schon Deiner Mutter schreiben, und es ist dumm, dass ich es so verzögere.

Eine Frage im Vertrauen (Vertrauen sowohl gegenüber Deinen als meinen Verwandten): Ich möchte die Ottla, die von meinem Plan nichts weiß, auch sonst weiß niemand davon, gern früher, etwa schon Sonntag, nach Berlin schicken. Sie soll doch ein Vergnügen von der Reise haben; wenn sie aber erst Donnerstag fährt und spätestens Montag wegfahren, überdies den ganzen Juni, die ganzen Tage durch, die Eltern im Geschäft vertreten muß, so wäre es ein gar zu geringfügiges Vergnügen. (Überdies kann sie ja auch dann zur Hochzeit nicht mehr kommen.) Wäre das irgendwie zu ermöglichen, fände sich vor allem irgendeine gleichaltrige bureaufreie Verwandte oder Bekannte, die tagsüber paar Stunden für sie übrig hätte oder ihr Anweisungen gäbe, wie sie allein den Tag nützlich und angenehm verbringen kann? Das Wohnen im Hotel und alles sonstige würde wohl keine besondern Schwierigkeiten machen. Die Anforderungen, die das an ihre Selbständigkeit stellen würde wären nicht gar zu groß und ganz gesund. Die Sache liegt also so, dass Du darüber ganz frei urteilen sollst, was umso leichter möglich ist, da, wenn Du zu viel Schwierigkeiten sehn würdest, die Nichtausführung des Planes niemanden (außer mich vielleicht im ersten Augenblick) enttäuschen wird, da niemand von dem Plane weiß. Antworte jedenfalls gleich.


Herzlichste Grüße Franz


Falls Du die Sache für ausführbar hältst, müßtest Du express schreiben, denn Donnerstag ist hier Feiertag.

[Am linken Rand der ersten Seite] An die B. Z. hast Du vergessen.




um Dir die Wohnung wirklich anzusehn: Vgl. Brief an Grete Bloch vom 16. Mai 1914, S. 577.


Über den Zustand meines Fingers verrate ich nichts: Vgl. denselben Brief, S. 576.


die B. Z. : Wahrscheinlich die B. Z. [Berliner Zeitung] vom 9. 5. 1914, in der eine Rezension des "Heizers" von Camill Hoffmann erschienen war.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at