Voriger Eintrag | Jahresübersicht | Indexseite | Nächster Eintrag |
An Felice Bauer
Das Wetter ist hier auch sehr schön, man nützt es leider nicht
sehr gut aus, liegt nicht im Wald, wie es eigentlich sein müßte,
aber man nützt es auch nicht wieder so schlecht aus, dass man
an dem kostbaren Sonntagnachmittag mit Tante Emilie im Zimmer über
die Ausstattung verhandelt. Wenn dadurch die Ausstattung beschleunigt,
der Anlaß ihrer Verwendung nähergerückt würde dann
wäre allerdings kein Sonntagnachmittag zu kostbar, aber da dies nicht
so ist -
Dieses Wetter bringt auch die Fehler unser[er] Wohnung, die ich allerdings
schon definitiv genommen habe, besonders deutlich zu Bewußtsein und
die Notwendigkeit des nächstsommerlichen Umzugs ist fast unabweislich.
Im Winter mag sie recht gut sein: Man ist zwischen Häusern, abgeschlossen,
warm, hat doch genug Sonne und Luft. Aber für andere Jahreszeiten
ist es dort ein wenig traurig, kein Grün vor dem Fenster, nur eine
ziemlich lärmende, ziemlich öde Gasse, allerdings liegt es an
einer platzartigen Erweiterung der Gasse, immerhin sieht man die gegenüberwohnenden
Parteien und wird gesehn. Infolgedessen wird auch wenigstens für die
2 Zimmer mit Gassenaussicht ein Möbelstück nötig, das sonst
nicht nötig gewesen wäre. Welches? (Übung des Scharfsinns)
Die Pläne werde ich mir verschaffen, wenn auch meine letzte Zeichnung
ganz vertrauenswürdig ist. Du mußt Dich nur nicht von der äußern
Form abhalten lassen, sie zu studieren und Dich in sie einzuleben. Versuch
nur, durch die gezeichneten Zimmer zu spazieren, aus dem Fenster Dich hinauszulehnen
u.s.f. und Du wirst eine ganz genaue Vorstellung von der Wohnung bekommen.
Genauer wäre allerdings die Vorstellung, die Du bekämest, wenn
Du einen Ausflug nach Prag machtest, um Dir die Wohnung wirklich
anzusehn. Über den Zustand meines Fingers verrate
ich nichts. Du mußt ihn aus dem Zustand meiner Handschrift zu
erkennen suchen. Immerhin könnte ich schon Deiner Mutter schreiben,
und es ist dumm, dass ich es so verzögere.
Eine Frage im Vertrauen (Vertrauen sowohl gegenüber Deinen als meinen
Verwandten): Ich möchte die Ottla, die von meinem Plan nichts weiß,
auch sonst weiß niemand davon, gern früher, etwa schon Sonntag,
nach Berlin schicken. Sie soll doch ein Vergnügen von der Reise haben;
wenn sie aber erst Donnerstag fährt und spätestens Montag wegfahren,
überdies den ganzen Juni, die ganzen Tage durch, die Eltern im Geschäft
vertreten muß, so wäre es ein gar zu geringfügiges Vergnügen.
(Überdies kann sie ja auch dann zur Hochzeit nicht mehr kommen.) Wäre
das irgendwie zu ermöglichen, fände sich vor allem irgendeine
gleichaltrige bureaufreie Verwandte oder Bekannte, die tagsüber paar
Stunden für sie übrig hätte oder ihr Anweisungen gäbe,
wie sie allein den Tag nützlich und angenehm verbringen kann? Das
Wohnen im Hotel und alles sonstige würde wohl keine besondern Schwierigkeiten
machen. Die Anforderungen, die das an ihre Selbständigkeit stellen
würde wären nicht gar zu groß und ganz gesund. Die Sache
liegt also so, dass Du darüber ganz frei urteilen sollst, was
umso leichter möglich ist, da, wenn Du zu viel Schwierigkeiten sehn
würdest, die Nichtausführung des Planes niemanden (außer
mich vielleicht im ersten Augenblick) enttäuschen wird, da niemand
von dem Plane weiß. Antworte jedenfalls gleich.
Herzlichste Grüße Franz
Falls Du die Sache für ausführbar hältst, müßtest
Du express schreiben, denn Donnerstag ist hier Feiertag.
[Am linken Rand der ersten Seite] An die B. Z. hast Du vergessen.
um Dir die Wohnung wirklich anzusehn: Vgl. Brief
an Grete Bloch vom 16. Mai 1914, S. 577.
Über den Zustand meines Fingers verrate ich nichts:
Vgl. denselben Brief, S. 576.
die B. Z. : Wahrscheinlich die B. Z. [Berliner
Zeitung] vom 9. 5.
1914, in der eine Rezension des "Heizers" von Camill Hoffmann
erschienen war.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at