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An Felice Bauer

25. IV. 14 [vermutlich vom 26. April 1914]
 


Liebste F., von zwei Sachen schreibst Du nicht, trotzdem Du weißt, dass mich beide Deinetwegen (laß mich jetzt beiseite!), geradewegs Deinetwegen sehr bekümmern. Um das eine habe ich bisher gar nicht gefragt, es ist Dein Bruder. Du hast mir einmal geschrieben, ich würde in Berlin darüber Ausführliches hören, ich habe nichts gehört, nur den einen Brief gelesen und daraus schließen (ich meine aus dem Inhalt des Briefes schließen) können, wie viel Du mir von dieser Sache, was Dich betrifft, ich wiederhole, nur was Dich betrifft, verschwiegen hast. Nun aber schweigst Du weiter.

Das zweite ist Dein Bekannter aus Breslau. Ich scheue mich nicht, danach offen zu fragen, denn wenn es ein noch wirkendes Gespenst ist, wird es sich auch ungerufen melden, wirkt es nicht mehr, dann werde ich es auch durch diesen Anruf nicht wecken. Verweise mich nicht auf mündliche Aussprache, Du hast frühere derartige Versprechen auch nicht erfüllen können. Rede offen oder sage offen, warum Du nicht reden kannst. Es gibt so vieles, was man nicht klar sagen, worin man sich aus eigener Schwäche oder aus Schwäche des Zuhörers nicht mitteilen kann, umso mehr hat man die Pflicht, dort, wo Klarheit möglich ist, klar zu sein. Das Bild mag ruhig in Deinem Zimmer hängen, ich soll aber in meinem Zimmer auch ruhig sein dürfen.


F


Was die Kraftausdrücke anlangt, hast Du mich ein wenig mißverstanden. Nicht diese Ausdrücke an und für sich sind merkwürdig, merkwürdig ist, dass Ihr einerseits diese vor lauter Riesenhaftigkeit leeren Worte wählt (den Mädchen scheinen sie unter schwerem Atem wie große Ratten aus dem kleinen Mund zu kommen), andererseits aber auch gern matte, wenig bezeichnende Worte bevorzugt, und so in einer Art Riesentempo nicht eigentlich darstellt, sondern die richtige Darstellung umläuft.

Die Besuche mögen Dir viel Plage machen, aber doch auch Vergnügen, nicht? Jedem sein Teil, Du empfängst die Gäste, ich die Gespenster.

Gratulationen bekomme ich genug, wenn auch gewiß nicht so viel wie Du. Die ersten habe ich geöffnet, die spätem nicht mehr, sie werden auch torgelesen wirken, wenn es ihnen und uns so bestimmt ist. Die beiliegende Karte schicke ich für Deine Tante, sie ist von dem Mann, den sie zu kennen behauptet.

Du kommst also Freitag; das kann als sicher gelten. Willst Du die Wohnung sehn, ist es der letzte Termin. Die Wohnung ist sehr schön; wenn bei der Besichtigung so gutes Wetter wie jetzt sein wird, dann wirst Du sie nehmen, sonst wirst Du zweifeln. Sie ist genug weit gelegen, ganz frei, mitten im Grün[en], 3 Zimmer, 2 Balkone, 1 Terrasse, 1200 K, viel Geld, mehr eigentlich als wir zahlen können. Ich rede so, als hätte ich einen Überblick darüber, was wir zahlen können.

Hast Du keine Lust, nach Gmünd auf einen Tag zu fahren? Ich hätte große Lust.

Schick mir die Adresse Deiner Schwester Elsa! War Deine Mutter mit meinem Brief zufrieden? Hast Du auch [Brods] "Weiberwirtschaft" und Werfel bekommen?


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at