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An Felice Bauer

24. IV. 14
 


Der dritte Brief, den ich heute anfange. Immer wieder mischt sich heute in die Briefe an Dich Dein Bekannter aus Breslau, dessen Namen ich mir nicht etwa aus Trotz, aber doch aus irgendeiner Notwendigkeit nicht merken kann; nicht einmal sein Aussehn kann ich mir merken, trotzdem ich doch sein Bild groß genug in Deinem Zimmer habe hängen sehn. Ihn selbst dagegen kann ich nicht vergessen; es ist zum Teil Deine Schuld, Du hast mir zu wenig Deutliches und zu viel Andeutungsweises von ihm erzählt.

Heute hatte ich von Dir kein Wort, das wäre nicht schlimm; schlimmer ist, dass ich nun schon wohl seit ¾ Jahren keine ruhig geschriebene Seite von Dir bekommen habe.

Ich danke Dir für den Brief an die Eltern, er hat sie beide vollständig befriedigt. Mir fiel bei dem Brief wieder einmal ein, wie merkwürdig Euere Sprache ist. Worte wie "furchtbar, riesig, ungeheuer, famos" streut Ihr nur so hin, das richtig charakterisierende "sehr" sucht Ihr lieber zu vermeiden und ersetzt es durch das unbestimmt zurückhaltende "recht".

Sonntag bekommst Du, F., keinen Brief von mir, sei nicht böse deshalb, ich schreibe nicht gerne nachhause; als Familienfremder konnte ich schreiben; wurden Späße darüber gemacht, so waren sie doch nicht gut gemeint; heute würden oder könnten nur gutgemeinte Späße darüber gemacht werden und die, gerade die, täten mir leid.

Dein Brief an meine Eltern hat mich vor allem wegen des Datums Deines Besuches enttäuscht. Wie? Erst am 5ten willst Du kommen? Warum erst am 5ten? Dein Chef ist doch schon zurück. Und was tue ich Mit der Wohnung, die ich mir mit Mühe bis zum zweiten habe reservieren lassen?

Was für trübsinnige Mitteilungen ich Dir heute mache! Laß mich wenigstens Deine Hand küssen, damit ich mein Gesicht verstecken kann.


F


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at