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An Felice Bauer
Ich habe, F., gewiß niemals bei irgendeiner Handlung mit solcher
Bestimmtheit das Gefühl gehabt, etwas Gutes und unbedingt Notwendiges
getan zu haben wie bei unserer Verlobung und nachher und jetzt. In dieser
Zweifellosigkeit gewiß nicht. Und Du? Für Dich? Ist es für
Dich auch so? Fange Deinen nächsten Brief mit der Antwort darauf an.
Nimm mir mein übermüdetes, zerstreutes, unaufmerksames, fahriges,
vielleicht auch gleichgültiges Wesen während dieser zwei Tage
nicht übel. Es bedeutete nichts anderes, als dass ich gar nicht
bei mir war, sondern irgendwie, ohne dass Du es vielleicht wolltest
oder auch nur duldetest oder gar nur fühltest, ganz bei Dir.
Ich will übrigens nicht sagen, dass es schöne Tage waren
und dass in ihnen nicht die Möglichkeit gelegen wäre, viel
schöner zu sein. Der erste Abend zwischen uns verlief so, wie ich
es vorausgesehen hatte, ganz genau so, äußerlich, wie innerlich
in mir. Dass ich am nächsten Tag sofort mit Deinem Vater sprechen
würde, wußte ich auch längst und hatte es gar nicht vom
Gespräch am Vorabend abhängig gemacht. Nicht einmal von der Hoffnung
hatte ich es abhängig gemacht, das Gespräch später einmal
in Ruhe nochmals aufnehmen zu können. Ich habe vollständiges
Vertrauen zu Dir, Felice, vollständiges Vertrauen, suche Dich damit
abzufinden, so gut Du kannst. Dass ich fragte und doch wieder fragen
werde, geht mehr auf ein mir fremderes logisches Bedürfnis als auf
ein Bedürfnis des Herzens zurück. Das ist natürlich in dieser
Schärfe nicht richtig, nur beiläufig ist es so, es gibt auch
noch hinter der Logik einige Quellen des Leidens.
(Was meint Fräulein Bloch dazu [damit?], wenn sie in dem Telegramm,
das ich gerade jetzt bekommen habe, sagt: "Innige Glückwünsche
ihrer zufriedenen Grete Bloch"?)
Das Häßlichste und geradezu Wüste aber war, dass wir
niemals oder nur in Augenblicken auf der Gasse allein waren und dass
ich mir niemals in einem Kuß Ruhe bei Dir holen konnte. Du hättest
mir die Möglichkeit geben können und hast es nicht getan, ich
war viel zu zerfahren, um sie mir zu erzwingen. Alles Recht, das mir die
Sitte aus der Tatsache des Verlobtseins gibt, ist für mich widerlich
und völlig unbrauchbar; Verlobtsein ist ja jetzt nichts, als ohne
Ehe eine Komödie der Ehe zum Spaß der andern aufzuführen.
Das kann ich nicht, dagegen kann ich darunter irrsinnig leiden. Ich wollte
manchmal Gott danken, dass wir jetzt nicht immerfort in derselben
Stadt sind; dann aber möchte ich Gott wieder nicht dafür danken,
denn wären wir in der gleichen Stadt, so würden wir gewiß
früher heiraten, ohne Rücksicht auf Dienstjubiläen.
Aber wie das auch sein mag, komm' jetzt nur recht bald. Vielleicht fügt
Deine Mutter paar Zeilen an den Brief, den Du meinen Eltern schreibst;
sie wird dann natürlich aufs freundlichste eingeladen werden. Hast
Du schon im Bureau von Deiner Verlobung erzählt und über euren
möglichst frühen Termin des Austritts Dich mit der Direktion
geeinigt? Bei der Ärztin gekündigt? Mit der Arbeit an der Revue
ein Ende gemacht? Mögest Du mir auch nur eine meiner vielen Bitten
bewilligen, so laß es die sein: Arbeite nicht so viel, geh spazieren,
turnen, mach' was Du willst, arbeite nur nicht noch außerhalb des
Bureaus. Ich nehme Dich für die Zeit außerhalb des Bureaus in
meine Dienste und schicke Dir den Gehalt dafür, wie hoch und wie oft
Du ihn willst. Das bestätige ich mit meiner Unterschrift:
Franz
[am Rande] Herzlichste Grüße an Mutter und Schwestern.
Dienstjubiläen : Felicens fünfjähriges
Dienstjubiläum bei der Firma Carl Lindström im August 1914.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at