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An Felice Bauer

14.IV.14
 


Ich habe, F., gewiß niemals bei irgendeiner Handlung mit solcher Bestimmtheit das Gefühl gehabt, etwas Gutes und unbedingt Notwendiges getan zu haben wie bei unserer Verlobung und nachher und jetzt. In dieser Zweifellosigkeit gewiß nicht. Und Du? Für Dich? Ist es für Dich auch so? Fange Deinen nächsten Brief mit der Antwort darauf an.

Nimm mir mein übermüdetes, zerstreutes, unaufmerksames, fahriges, vielleicht auch gleichgültiges Wesen während dieser zwei Tage nicht übel. Es bedeutete nichts anderes, als dass ich gar nicht bei mir war, sondern irgendwie, ohne dass Du es vielleicht wolltest oder auch nur duldetest oder gar nur fühltest, ganz bei Dir.

Ich will übrigens nicht sagen, dass es schöne Tage waren und dass in ihnen nicht die Möglichkeit gelegen wäre, viel schöner zu sein. Der erste Abend zwischen uns verlief so, wie ich es vorausgesehen hatte, ganz genau so, äußerlich, wie innerlich in mir. Dass ich am nächsten Tag sofort mit Deinem Vater sprechen würde, wußte ich auch längst und hatte es gar nicht vom Gespräch am Vorabend abhängig gemacht. Nicht einmal von der Hoffnung hatte ich es abhängig gemacht, das Gespräch später einmal in Ruhe nochmals aufnehmen zu können. Ich habe vollständiges Vertrauen zu Dir, Felice, vollständiges Vertrauen, suche Dich damit abzufinden, so gut Du kannst. Dass ich fragte und doch wieder fragen werde, geht mehr auf ein mir fremderes logisches Bedürfnis als auf ein Bedürfnis des Herzens zurück. Das ist natürlich in dieser Schärfe nicht richtig, nur beiläufig ist es so, es gibt auch noch hinter der Logik einige Quellen des Leidens.

(Was meint Fräulein Bloch dazu [damit?], wenn sie in dem Telegramm, das ich gerade jetzt bekommen habe, sagt: "Innige Glückwünsche ihrer zufriedenen Grete Bloch"?)

Das Häßlichste und geradezu Wüste aber war, dass wir niemals oder nur in Augenblicken auf der Gasse allein waren und dass ich mir niemals in einem Kuß Ruhe bei Dir holen konnte. Du hättest mir die Möglichkeit geben können und hast es nicht getan, ich war viel zu zerfahren, um sie mir zu erzwingen. Alles Recht, das mir die Sitte aus der Tatsache des Verlobtseins gibt, ist für mich widerlich und völlig unbrauchbar; Verlobtsein ist ja jetzt nichts, als ohne Ehe eine Komödie der Ehe zum Spaß der andern aufzuführen. Das kann ich nicht, dagegen kann ich darunter irrsinnig leiden. Ich wollte manchmal Gott danken, dass wir jetzt nicht immerfort in derselben Stadt sind; dann aber möchte ich Gott wieder nicht dafür danken, denn wären wir in der gleichen Stadt, so würden wir gewiß früher heiraten, ohne Rücksicht auf Dienstjubiläen. Aber wie das auch sein mag, komm' jetzt nur recht bald. Vielleicht fügt Deine Mutter paar Zeilen an den Brief, den Du meinen Eltern schreibst; sie wird dann natürlich aufs freundlichste eingeladen werden. Hast Du schon im Bureau von Deiner Verlobung erzählt und über euren möglichst frühen Termin des Austritts Dich mit der Direktion geeinigt? Bei der Ärztin gekündigt? Mit der Arbeit an der Revue ein Ende gemacht? Mögest Du mir auch nur eine meiner vielen Bitten bewilligen, so laß es die sein: Arbeite nicht so viel, geh spazieren, turnen, mach' was Du willst, arbeite nur nicht noch außerhalb des Bureaus. Ich nehme Dich für die Zeit außerhalb des Bureaus in meine Dienste und schicke Dir den Gehalt dafür, wie hoch und wie oft Du ihn willst. Das bestätige ich mit meiner Unterschrift:

Franz


[am Rande] Herzlichste Grüße an Mutter und Schwestern.




Dienstjubiläen : Felicens fünfjähriges Dienstjubiläum bei der Firma Carl Lindström im August 1914.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at