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An Grete Bloch
Liebes Fräulein Grete, Ihren Montagsbrief und das gestrige Päckchen
bekam ich heute früh gleichzeitig. - Aber dieser Antrag aus Berlin,
das ist ja ein Glücksfall, nichts weniger! Sie müssen unbedingt
nach Berlin. Hätte ich die Macht, so müßte das Papier diese
Worte: "Sie müssen nach Berlin!" einfach und laut wiederholen,
dass es in Ihrem Bureau widerhallt und die Chefs im Nebenzimmer aufhorchen.
Was Sie auch immer in Berlin durchgemacht haben mögen und wovon ich
nichts weiß, wie sich auch das Verhältnis zu Ihrer Familie ausbilden
mag (besser als früher wird es gewiß sein) auf jeden Fall gewinnen
Sie durch die Annahme des Postens. Berlin ist eine so viel bessere Stadt
als Wien, dieses absterbende Riesendorf; Sie werden, da man ja selbst an
Sie herantritt, eine bessere Stellung in Ihrem Posten wiederfinden; Sie
kommen gewissermaßen (solche seltenen Möglichkeiten soll man
nie aus der Hand geben) als jemand zurück, der recht behalten hat;
Sie haben in Berlin jedenfalls bessere und angenehmere Arbeit (der Abschied
von Ihren jetzigen Chefs kann ja bei Ihnen nur ein gerührtes Aufatmen
loslösen); können mehr reisen, was Ihnen doch Freude macht; bekommen
aber auch für den Fall, dass Sie wieder wegwollten, bessere Verbindungen,
als Sie sie von Wien aus anknüpfen könnten; ebenso wie Sie von
Berlin aus nach Wien kamen, können Sie später auf bessere Plätze
kommen, von Wien aus schwer, wie Sie selbst eingestehn; die Kleinlichkeit
und das Unverständnis Ihrer Chefs in Wien hat Sie überrascht,
also gibt es das in Berlin wenigstens in diesem Ausmaß nicht; vielleicht
werden Sie dort auch besser gezahlt, jetzt wo Sie doch Bedingungen stellen
können; jedenfalls leben Sie aber bei Ihren Eltern und können,
wenn Sie schon helfen müssen, dies auf einfachere, ausgiebigere und
doch leichter, für alle leichter, zu tragende Art tun. Nehmen Sie
an! Auf jeden Fall nehmen Sie an! Schreiben Sie mir, dass Sie angenommen
haben und ich gratuliere Ihnen telephonisch zur Freude der an ihren Apparaten
horchenden Chefs.
Wenn Sie aber annehmen, dann wäre vielleicht darin eine Möglichkeit
gegeben, Ostern nach Berlin zu fahren. Einerseits entfällt das Hindernis,
das für Sie in den vorauszusehenden Versuchen Ihrer Eltern, Sie zu
halten, liegen würde, anderseits wäre es vielleicht für
Sie gut, schon jetzt bei der Firma vorzusprechen. Nun, das werden Sie besser
wissen als ich, aber rücksichtlich der Annahme könnte, wenn Sie
nur auf sich hören, irgendein im Augenblick übermächtiges
Gefühl, das dann in der Wiener Einsamkeit nicht dauern, nicht dauernd
Sie aufrecht erhalten würde, alles verderben. Das soll es nicht. Nehmen
Sie an, Fräulein Grete, nehmen Sie an!
Ihrer guten Wünsche für meine Reise, und nicht nur für meine
Reise, bin ich gewiß. Diese Gewißheit ist schon so in mich
eingegangen, dass ich nicht mehr sondern kann, was ich ihr verdanke;
es ist nicht wenig.
Das Packerl wird F. überreicht, so wie Sie es wollen. Für den
Fall, dass Sie nicht fahren, erwarte ich Ihre übrigen Aufträge.
Mit den herzlichsten Grüßen Ihr Franz K.
Die unterschiedliche Textfarbe wurde auf Grund der Ausgabe "Geteilte Post: 28 Briefe an Grete Bloch. Marbach am Neckar, 2011" gewählt. Laut dem Herausgeber Hans-Gerd Koch: "Aus zwölf dieser Briefe trennt sie jene Teile heraus, die persönliche Dinge betreffen oder falsche Rückschlüsse auf ihre Beziehung zu Kafka zulassen, und behält sie zurück. (Beim Abdruck im vorliegenden Band wurden diese fehlenden Teile in grauer Schrift ergänzt.)" Um die Lesbarkeit zu erleichtern, wurde für diese Webseite anstelle von grau eine blaue Schriftfarbe verwendet.
Letzte Änderung: 17.4.2009 | werner.haas@univie.ac.at |