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An Felice Bauer
Du verstehst mein Telegramm nicht, F. ? Ich nehme an, dass es nicht
verklopft worden ist; es sollte lauten: "Letzten Brief konnte ich
nicht beantworten. Mußte mir sagen, dass Du mich ohne ein anderes
Gefühl nur demütigen willst. Was konnte der letzte Brief sonst
bedeuten, was bedeuteten die sonst grundlosen niemals erklärten Pausen
zwischen Deinen Briefen."
(Dein gestriges Telegramm bekam ich, trotzdem es mittag aufgegeben zu sein
scheint, sonderbarerweise sehr spät. Um 8 Uhr abends war ich noch
zuhause, das Telegramm war noch nicht da. Dann ging ich weg und kam erst
um ½1, da fand ich das Telegramm.)
Du verstehst also das Telegramm nicht? Erinnere Dich, F., an unser letztes
Beisammensein tiefere Demütigung kann wohl ein Mensch vom andern nicht
erfahren als ich damals von Dir, tiefere Demütigung kann man allerdings
auch nicht herausfordern, als ich es damals getan habe. Das Demütigende
lag nicht etwa in Deiner Abweisung; die war Dein selbstverständliches
Recht. Das Demütigende lag darin, dass Du mir überhaupt
nicht antwortetest, die wenigen Antworten ganz unbestimmt ließest,
mir einfach einen dumpfen Haß und Widerwillen zeigtest, der so schrecklich
überzeugend war, dass in mir selbst die Erinnerungen an unsere
guten Zeiten davon berührt wurden und ich an manches mich erinnerte,
das leicht im Sinne Deines gegenwärtigen Verhältnisses zu mir
gedeutet werden konnte. Du sagtest wenig, aber vieles von dem wenigen habe
ich nach Wort und Ton genau im Kopf. Du sprachst von der Möglichkeit
(der Möglichkeit!) Deiner Liebe zu irgendjemandem früheren, von
dem Du nicht reden wolltest, dass Du nichts Halbes tun könntest
und das Mich-nicht-Heiraten (ich wendete ein, dies sei doch auch etwas
Halbes, da Du doch behauptetest, vollständig fremd sei ich Dir nicht)
die größere Hälfte sei, dass Du meine Eigenheiten
nicht ertragen könntest, dass ich endlich um Himmelswillen aufhören
möge, immerfort um das Unmögliche zu bitten, dass ganz nach
meinem Belieben der Briefwechsel aufhören könne, dass Du
aber darauf eingehen würdest, ihn fortzusetzen (dabei wußte
ich genau so wie Du, dass Du mir nicht antworten würdest, wie
es auch geschehen ist), und solcher Dinge gab es eine Menge. Habe ich etwas
davon vergessen, so kann ich auf das Vergessene aus meinen Antworten schließen.
Allerdings beweisen diese Antworten auch, welcher Gemeinheiten ich fähig
bin. Ich verleugnete mich, ich fragte, ob Dich mein Vegetarismus störe,
ob Du mich nicht ohne Liebe heiraten könntest, schließlich schämte
ich mich nicht, die Fabrik anzuführen.
Es wäre kein Grund, alles das zu wiederholen, besonders da Du damals
in einer außergewöhnlichen, mir allerdings noch nicht anvertrauten,
Lage warst. Aber Du sagst, dass Du das Telegramm nicht verstehst.
- Mein erster Brief (seit Berlin) widerrief das meiste dessen, was ich
gesagt hatte, soweit man überhaupt die eigenen Worte widerrufen kann
und darf. Meine Demütigungen hörten nicht auf hattest Du im Tiergarten
mündlich geschwiegen, so schwiegst Du jetzt schriftlich, Du antwortetest
nicht einmal meiner Mutter gleich. Aber es kam eine Erklärung, Du
hattest so viel Leid gehabt. Das war aber dann im Schlimmsten vorüber,
trotzdem schwiegst Du wochenlang, ließest 5 Briefe unbeantwortet.
War das nicht Verachtung? Du erklärtest auch nicht mit einem Wort
dieses Schweigen, trotzdem Du wußtest, wie ich darunter litt. War
das nicht noch schlimmer als der Tiergarten? Einmal schriebst Du: "Wenn
Dir meine Liebe genügt, dann gut." Etwas derartiges hattest
Du nicht einmal im Tiergarten mir gesagt. Einmal schriebst Du: "Was
ich in Berlin gesagt habe ist alles wahr gewesen, wahr an sich, wenn es
auch vielleicht nicht alles war." Aber dieses "alles"
habe ich nie erfahren.
Auch das zu erwähnen, wäre kein Grund, Felice, denn es kam dann
ein Brief, der alles gutzumachen schien, der vorletzte. Alles schien gut,
der endgültige Anfang besserer Zeiten schien gekommen. Ich schrieb
glücklich zurück, bat dringend wie vielleicht niemals, mich nicht
auf Antwort warten zu lassen, schrieb, wie ich mit Herzschmerzen nur die
ergebnislosen Poststunden überstehe, bat für den nächsten
Tag, wenn es nicht anders ginge, nur um paar Zeilen-und wartete vier Tage.
Und was kam dann? Dann kam Dein letzter Brief, paar Zeilen im Restaurant
nach dem Essen geschrieben, das Ausbleiben der Antwort nicht erklärt,
die Reise nach Dresden (ohne Erklärung Deiner frühern öftern
Bereitwilligkeit zu einer solchen Reise) einfach abgelehnt, Flüstern
Deiner Schwester, Du möchtest Dich kürzer (noch kürzer!
noch kürzer!) fassen. Das war alles. Konnte ich an eine Antwort oder
gar an Weiteres denken, wenn Du für mich im Laufe von 4 Tagen nur einen
Augenblick nach dem Essen frei bekommen hast, mit keinem Wort auf den Inhalt
meiner Briefe antwortetest und die ganze Angelegenheit sich nur so widerwillig
und nebensächlich in Dein sonstiges Leben einzwängen ließ.
War damit nicht alles vom ersten Schritt im Tiergarten an wieder lebendig?
Konnte ich darauf antworten? Verstehst Du es jetzt, dass ich es nicht
konnte?
Wenn Du, F., nach dieser Erklärung, die nicht nur über mich,
sondern auch über Dich Erklärung sein soll, glaubst, dass
ich kommen soll, komme ich natürlich sofort. Ich käme morgen,
Samstag, um ½11 abends und müßte um 4½ nachmittag
zurück, da ich Montag wie jetzt überhaupt schwere widerliche
Arbeit habe. Wenn Du willst, dass ich komme und mich von der Bahn
abholen willst (ich würde Dich lediglich nachhause begleiten, Du könntest
um ½12 schon zuhause sein), dann telegraphiere mir sofort, damit
ich das Telegramm bis 12, Uhr mittag habe, und ich laufe gleich zur Bahn.
Franz
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at