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An Grete Bloch
Liebes Fräulein Grete, hätte ich Ihren letzten Brief vorgestern
bekommen, hätte ich seinen ersten Teil, der mich, ohne meinen Entschluß
zu kennen, widerlegen will, sehr gut entkräften können, heute
nach F.'s Brief und dem heutigen Telegramm: "nach Dresden zu kommen
unmöglich Gruß Felice" kann ich es wenigstens augenblicklich
nicht, trotzdem es im Princip auch heute möglich wäre. Aber keine
Rätsel; ich werde glücklich sein, Ihnen erzählen, Ihnen
zuhören, mit Ihnen spazieren, Ihnen gegenüber sitzen zu dürfen.
(Übrigens, wie oft sehe ich Sie schweratmend auf dem karierten Oberbett
der Schuldienerfamilie liegen! Frl. Grete war schon damals ein wenig fassungslos,
hat es aber überwunden und ist immer besser geworden, trotzdem sie
es nicht glauben will.) Nun ist freilich die Zusammenkunft mit F. für
morgen nicht zustandegekommen, würden Sie, liebes Fräulein Grete,
falls die Zusammenkunft mit F. für nächsten Sonntag möglich
wird, aber nur für diesen Fall, unsere Zusammenkunft auf den nächstnächsten
Sonntag verschieben? Ich habe die Fahrpläne schon durchgesehn. Wären
Sie nicht begierig, einmal Gmünd zu sehn? Es liegt gerade auf der
Mitte des Wegs, die Züge laufen geradezu einander entgegen, jeder,
Sie und ich, fährt etwa um 4 Uhr von zuhause weg und kommt um 7 Uhr,
ich etwa um ½8 erst, in Gmünd an. Nächsten Abend fahren
wir dann mit den gleichen, nur gewechselten Zügen wieder nachhause.
Ich halte das für ausgezeichnet, abgesehn allerdings davon, dass
ich Ihnen damit eine gleichlange Reise aufbürde wie mir. Vielleicht
finden wir doch einen Ort, der im übrigen auch passend doch näher
bei Wien ist. Nun sprechen Sie!
Daß Sie glauben, mir nicht schreiben zu dürfen, mag in Ihrem Denken
seine Berechtigung haben, es ist aber keine, die mir Ehre macht oder die
mich beruhigen könnte. Trostloses hören und Trostloses erleben
ist zweierlei, wie sehr einen auch das Hören in diesem oder jenem
Fall zum Miterleben zwingt. Trostloses Erleiden kann man sich allerdings
auch in einer ganz verzweifelten Stunde zu einem Vorzug umdeuten, dessen
man wert bleiben muß; das Vertrauen eines leidenden Menschen aber,
der einem auch sonst viel bedeutet, ist immer ein Vorzug und selbst ein
Trost.
Ist das, was ich über Wien sage, nicht richtig, bestätigt es
nicht auch der Angestellte, mit dem Sie jenen Auftritt hatten? Aber irgendwie
scheint Sie Wien doch festzuhalten, trotzdem Sie das Schöne von Wien
noch gar nicht kennen, da Sie die Gräfin Thürheim noch nicht
gelesen zu haben scheinen. Kennen Sie übrigens den "Armen Spielmann"
von Grillparzer? Habe ich das nicht schon einmal gefragt? Ehe Sie den und
dann noch Grillparzers Selbstbiographie und dann etwa noch seine Reisetagebücher
aus Deutschland, Frankreich und England kennen, hätte es vielleicht
nicht viel Sinn, das Grillparzerzimmer im städtischen Museum anzusehn,
dann aber wäre ich froh, wenn Sie es tun und mir davon schreiben würden.
Bevor Sie das getan haben, verlassen Sie Wien nicht, dann aber rasch.
Herzlichste Grüße Ihres Franz K.
Ist in den letzten Tagen vielleicht etwas Besonderes geschehn, das Sie
so niedergeschlagen mach?
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at