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An Grete Bloch

13.III.14
 


Liebes Fräulein Grete, hätte ich Ihren letzten Brief vorgestern bekommen, hätte ich seinen ersten Teil, der mich, ohne meinen Entschluß zu kennen, widerlegen will, sehr gut entkräften können, heute nach F.'s Brief und dem heutigen Telegramm: "nach Dresden zu kommen unmöglich Gruß Felice" kann ich es wenigstens augenblicklich nicht, trotzdem es im Princip auch heute möglich wäre. Aber keine Rätsel; ich werde glücklich sein, Ihnen erzählen, Ihnen zuhören, mit Ihnen spazieren, Ihnen gegenüber sitzen zu dürfen. (Übrigens, wie oft sehe ich Sie schweratmend auf dem karierten Oberbett der Schuldienerfamilie liegen! Frl. Grete war schon damals ein wenig fassungslos, hat es aber überwunden und ist immer besser geworden, trotzdem sie es nicht glauben will.) Nun ist freilich die Zusammenkunft mit F. für morgen nicht zustandegekommen, würden Sie, liebes Fräulein Grete, falls die Zusammenkunft mit F. für nächsten Sonntag möglich wird, aber nur für diesen Fall, unsere Zusammenkunft auf den nächstnächsten Sonntag verschieben? Ich habe die Fahrpläne schon durchgesehn. Wären Sie nicht begierig, einmal Gmünd zu sehn? Es liegt gerade auf der Mitte des Wegs, die Züge laufen geradezu einander entgegen, jeder, Sie und ich, fährt etwa um 4 Uhr von zuhause weg und kommt um 7 Uhr, ich etwa um ½8 erst, in Gmünd an. Nächsten Abend fahren wir dann mit den gleichen, nur gewechselten Zügen wieder nachhause. Ich halte das für ausgezeichnet, abgesehn allerdings davon, dass ich Ihnen damit eine gleichlange Reise aufbürde wie mir. Vielleicht finden wir doch einen Ort, der im übrigen auch passend doch näher bei Wien ist. Nun sprechen Sie!

Daß Sie glauben, mir nicht schreiben zu dürfen, mag in Ihrem Denken seine Berechtigung haben, es ist aber keine, die mir Ehre macht oder die mich beruhigen könnte. Trostloses hören und Trostloses erleben ist zweierlei, wie sehr einen auch das Hören in diesem oder jenem Fall zum Miterleben zwingt. Trostloses Erleiden kann man sich allerdings auch in einer ganz verzweifelten Stunde zu einem Vorzug umdeuten, dessen man wert bleiben muß; das Vertrauen eines leidenden Menschen aber, der einem auch sonst viel bedeutet, ist immer ein Vorzug und selbst ein Trost.

Ist das, was ich über Wien sage, nicht richtig, bestätigt es nicht auch der Angestellte, mit dem Sie jenen Auftritt hatten? Aber irgendwie scheint Sie Wien doch festzuhalten, trotzdem Sie das Schöne von Wien noch gar nicht kennen, da Sie die Gräfin Thürheim noch nicht gelesen zu haben scheinen. Kennen Sie übrigens den "Armen Spielmann" von Grillparzer? Habe ich das nicht schon einmal gefragt? Ehe Sie den und dann noch Grillparzers Selbstbiographie und dann etwa noch seine Reisetagebücher aus Deutschland, Frankreich und England kennen, hätte es vielleicht nicht viel Sinn, das Grillparzerzimmer im städtischen Museum anzusehn, dann aber wäre ich froh, wenn Sie es tun und mir davon schreiben würden. Bevor Sie das getan haben, verlassen Sie Wien nicht, dann aber rasch.


Herzlichste Grüße Ihres Franz K.


Ist in den letzten Tagen vielleicht etwas Besonderes geschehn, das Sie so niedergeschlagen mach?


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at