Voriger Eintrag Jahresübersicht | IndexseiteNächster Eintrag

 

An Felice Bauer

13.III.14
 


Du bist unglücklich, F., und ich störe Dich. Das ist eben mein Unglück. Mein Glück wäre, Dir ein Trost, wenn auch nur ein kleiner Trost zu sein. Das bin ich aber nicht. Mein Verhältnis zu Dir auf der einen Seite und das Unglück in Deiner Familie auf der andern Seite hältst Du auseinander, als wären es zwei ganz verschiedene Dinge und das erste das Nebensächliche. Wenn Du es so tust, dann ist es auch so oder wenigstens allem Anschein nach so, denn Bestimmtes will ich in dieser Hinsicht nicht sagen, das ist Deine Sache, F.

Ich weiß nicht, wie oft ich Deine zwei Briefe gelesen habe. Es ist Gutes darin, gewiß, aber auch viel Trauriges und das meiste eine Mischung, die weder gut noch traurig ist. Dein heutiges Telegramm macht alles noch ein wenig dunkler oder, um ein Wort Dir wegzunehmen, ohne das ich nicht auskommen kann: bitterer. Es war nicht besonders klug von mir, vielleicht auch nicht besonders zartfühlend, Dich zu bitten, morgen nach Dresden zu kommen, da Du jetzt in den ersten Tagen nach dem Unglück Deinen Eltern beistehen mußt. War es ein Fehler, so sind die 7 Worte Deines Telegramms Strafe genug. Aber vielleicht war es nicht so sehr ein Fehler, als vielmehr das Unvermögen, zwischen dem Unglück Deiner Familie und mir zu sondern, wie Du es tust.

Lassen wir das, F., aber was soll jetzt geschehn? Keinesfalls, F., keinesfalls darfst Du mich wieder in die Unsicherheit zurückwerfen, aus der ich durch die gestrigen Briefe wenigstens einen Schritt hinausgekommen bin. Das darfst Du keinesfalls, dort hinunter gehe ich nicht mehr zurück, lieber opfere ich mein Bestes und laufe mit dem Rest weg, wohin immer. Wenn wir aber vorwärts kommen wollen, müssen wir doch miteinander sprechen, das meinst Du doch gewiß auch, F., nicht? Kein Zweifel, dass das am besten, leichtesten, unbehindertesten, ausführlichsten in Dresden geschehen kann. Du selbst hast es letzthin in Berlin nebenbei vorgeschlagen, hast es früher schon öfters erwähnt. Ein ernstliches Hindernis besteht dafür nicht, willst Du es also nächsten Samstag tun? Du konntest in der letzten Zeit nicht schreiben, auch jetzt noch bereitet es Dir Qualen, ich sehe das zum Teil auch ein, es ist ein Grund mehr, der für die Zusammenkunft spricht. Schiebe sie aber bitte, Felice, über den nächsten Sonntag nicht hinaus. Denke, ich bin ein Fremder, der Dich nur einmal in Prag gesehen hat und der Dich um eine Gefälligkeit bittet, die für Dich eine Kleinigkeit, für ihn eine Unentbehrlichkeit bedeutet. Du würdest sie ihm nicht verweigern. Was für dumme Reden! Du würdest auch ohne sie die Notwendigkeit der Zusammenkunft einsehn. Siehst Du sie aber nicht ein und weißt Du etwas, was Deiner Meinung nach besser ist, dann sag es, ich füge mich, nur aus diesem Zustand muß es hinausführen; alles ist gut, wenn es das zustande bringt. Ich könnte ja auch nach Berlin kommen, aber abgesehen davon, dass es gewiß nicht so gut wäre wie in Dresden-ich fürchte mich, nach Berlin zu kommen, solange es zwischen uns nicht ganz klar ist, ich fürchte mich vor dem Anblick der ersten Vororte, ich fürchte mich vor dem Bahnsteig, wo ich den Hals verdreht habe, ich fürchte mich vor dem Eingang des Bahnhofs, wo ich den anfahrenden Automobilen entgegengesehen habe, ich fürchte mich vor allem. Jetzt nicht das! Komm nach Dresden! Laß mich so glücklich sein, unter Deinem Leid zu leiden, statt allein unter meinem.

Franz


Ich vergaß es zu sagen, meine Mutter war glücklich über Deinen Brief, es war gar nicht nötig, ein gutes Wort über Dich zusagen, sie läßt Dich herzlichst Grüßen, sie wollte Dir gleich antworten, ich bat sie; es vorläufig zu lassen. Das Wichtigste ist jetzt, dass wir, dass Du zuerst ins klare kommst. Darin könnte Dich meine Mutter nur stören, hoffentlich hat sie es nicht schon mit ihrem ersten Brief getan.


Franz




Deines Telegramms: Kafka erhielt am selben Tage aus Berlin ein Telegramm: "Nach Dresden zu kommen unmöglich Gruß Felice". Vgl. seinen Brief an Grete Bloch vom 13. März 1914, S. 520.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at