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An Felice Bauer
Du bist unglücklich, F., und ich störe Dich. Das ist eben mein
Unglück. Mein Glück wäre, Dir ein Trost, wenn auch nur ein
kleiner Trost zu sein. Das bin ich aber nicht. Mein Verhältnis zu
Dir auf der einen Seite und das Unglück in Deiner Familie auf der
andern Seite hältst Du auseinander, als wären es zwei ganz verschiedene
Dinge und das erste das Nebensächliche. Wenn Du es so tust, dann ist
es auch so oder wenigstens allem Anschein nach so, denn Bestimmtes will
ich in dieser Hinsicht nicht sagen, das ist Deine Sache, F.
Ich weiß nicht, wie oft ich Deine zwei Briefe gelesen habe. Es ist
Gutes darin, gewiß, aber auch viel Trauriges und das meiste eine
Mischung, die weder gut noch traurig ist. Dein heutiges Telegramm macht
alles noch ein wenig dunkler oder, um ein Wort Dir wegzunehmen, ohne das
ich nicht auskommen kann: bitterer. Es war nicht besonders klug von mir,
vielleicht auch nicht besonders zartfühlend, Dich zu bitten, morgen
nach Dresden zu kommen, da Du jetzt in den ersten Tagen nach dem Unglück
Deinen Eltern beistehen mußt. War es ein Fehler, so sind die 7 Worte
Deines Telegramms Strafe genug. Aber vielleicht war es
nicht so sehr ein Fehler, als vielmehr das Unvermögen, zwischen dem
Unglück Deiner Familie und mir zu sondern, wie Du es tust.
Lassen wir das, F., aber was soll jetzt geschehn? Keinesfalls, F., keinesfalls
darfst Du mich wieder in die Unsicherheit zurückwerfen, aus der ich
durch die gestrigen Briefe wenigstens einen Schritt hinausgekommen bin.
Das darfst Du keinesfalls, dort hinunter gehe ich nicht mehr zurück,
lieber opfere ich mein Bestes und laufe mit dem Rest weg, wohin immer.
Wenn wir aber vorwärts kommen wollen, müssen wir doch miteinander
sprechen, das meinst Du doch gewiß auch, F., nicht? Kein Zweifel,
dass das am besten, leichtesten, unbehindertesten, ausführlichsten
in Dresden geschehen kann. Du selbst hast es letzthin in Berlin nebenbei
vorgeschlagen, hast es früher schon öfters erwähnt. Ein
ernstliches Hindernis besteht dafür nicht, willst Du es also nächsten
Samstag tun? Du konntest in der letzten Zeit nicht schreiben, auch jetzt
noch bereitet es Dir Qualen, ich sehe das zum Teil auch ein, es ist ein
Grund mehr, der für die Zusammenkunft spricht. Schiebe sie aber bitte,
Felice, über den nächsten Sonntag nicht hinaus. Denke, ich bin
ein Fremder, der Dich nur einmal in Prag gesehen hat und der Dich um eine
Gefälligkeit bittet, die für Dich eine Kleinigkeit, für
ihn eine Unentbehrlichkeit bedeutet. Du würdest sie ihm nicht verweigern.
Was für dumme Reden! Du würdest auch ohne sie die Notwendigkeit
der Zusammenkunft einsehn. Siehst Du sie aber nicht ein und weißt
Du etwas, was Deiner Meinung nach besser ist, dann sag es, ich füge
mich, nur aus diesem Zustand muß es hinausführen; alles ist
gut, wenn es das zustande bringt. Ich könnte ja auch nach Berlin kommen,
aber abgesehen davon, dass es gewiß nicht so gut wäre wie
in Dresden-ich fürchte mich, nach Berlin zu kommen, solange es zwischen
uns nicht ganz klar ist, ich fürchte mich vor dem Anblick der ersten
Vororte, ich fürchte mich vor dem Bahnsteig, wo ich den Hals verdreht
habe, ich fürchte mich vor dem Eingang des Bahnhofs, wo ich den anfahrenden
Automobilen entgegengesehen habe, ich fürchte mich vor allem. Jetzt
nicht das! Komm nach Dresden! Laß mich so glücklich sein, unter
Deinem Leid zu leiden, statt allein unter meinem.
Franz
Ich vergaß es zu sagen, meine Mutter war glücklich über
Deinen Brief, es war gar nicht nötig, ein gutes Wort über Dich
zusagen, sie läßt Dich herzlichst Grüßen, sie wollte
Dir gleich antworten, ich bat sie; es vorläufig zu lassen. Das Wichtigste
ist jetzt, dass wir, dass Du zuerst ins klare kommst. Darin könnte
Dich meine Mutter nur stören, hoffentlich hat sie es nicht schon mit
ihrem ersten Brief getan.
Franz
Deines Telegramms: Kafka erhielt am selben Tage
aus Berlin ein Telegramm: "Nach Dresden zu kommen unmöglich
Gruß Felice". Vgl. seinen Brief an Grete Bloch vom 13. März
1914, S. 520.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at