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An Grete Bloch
Liebes Fräulein, ich habe gerade jetzt einen langen
Brief an F. geschrieben, ich weiß nicht, ob ich im richtigen
Zustand bin, Ihnen von der Reise zu berichten (meine Karte aus Dresden
haben Sie?). Dann ist es aber wieder wahr, dass, wenn ich jemandem
zu berichten schuldig und von mir gedrängt bin, Sie, nur Sie es sind.
Wenn mir etwas in diesen zwei Tagen wohlgetan hat, war es der Gedanke an
Sie, an Ihre Zuverlässigkeit und Wahrhaftigkeit.
Nach Ihrer heutigen Karte scheinen Sie es meinem letzten Brief nicht geradezu
entnommen zu haben, dass ich nach Berlin fahren wollte. Es stand bei
mir schon etwa seit 10 Tagen fest, deshalb schrieb ich auch, dass
mir F.'s Brief gerade in diesem Zeitpunkt angelegen kam, denn es bekam
dann den Anschein, dass ich wegen dieses Briefes erst gefahren bin,
wodurch dann F. wieder erkennen mußte, dass Sie mir einen Teil
des Briefes mitgeteilt hatten. Dazu kam es aber nicht, ich log, dass
ich von Ihnen seit 14 Tagen nichts gehört hatte und F. nahm das ohne
weiters hin, besonders, da auch sie ohne Antwort von Ihnen ist, die sie
gerade Samstag (ich kam gleichzeitig mit dem Briefträger) erwartete.
Sie "rächen sich jetzt", behauptete F., und ich freute
mich aus Bosheit. (Ich hatte nicht viel Gelegenheit zur Freude.)
Ich hatte mir einen Tag Urlaub genommen und war Freitag nachts in Berlin,
noch unsicher, ob F, überhaupt in Berlin war. Samstag früh ging
ich zu F. ins Bureau, schickte eine Karte (die Karte eines gewissen Gotthart,
die ich gerade bei mir hatte, ich wollte für den Fall, dass mich
das Mädchen dem Namen nach zufällig kennen sollte, nicht angestarrt
werden) zu F. und wartete. Vor mir war die Telephonzentrale, die sich in
meinem Fall niemals bewährt hatte. Ich war sehr glücklich, dort
zu sein. Dann kam F. (in ihrem Zimmer waren gerade viele Leute), war ein
wenig, nicht übermäßig erstaunt, recht freundlich und wir
standen dort ein wenig beisammen. Dann war ich mittag eine Stunde in einer
Konditorei mit ihr. Nach dem Bureau (da sah ich auch ihr Zimmer) gingen
wir zwei Stunden herum. Abend war F. in einem Ball, den sie, wie sie sagte,
aus geschäftlichen Gründen nicht versäumen durfte. Sonntag
vormittag waren wir über 3 Stunden spazieren und in einem Kaffee.
Nachmittag fuhr ich weg, F. hatte bestimmt versprochen zu kommen, kam aber
nicht. Heute entschuldigt sie sich allerdings in einem Telegramm, es war
ihr unmöglich; die Unmöglichkeit heißt Tante Marta oder
ähnlich.
Das Ergebnis alles dessen war: F. hat mich ganz gern, das reicht aber ihrer
Meinung nach für eine Ehe, für diese Ehe nicht hin; sie hat eine
unüberwindliche Angst vor einer gemeinsamen Zukunft; sie könnte
meine Eigenheiten vielleicht nicht ertragen; sie könnte Berlin nicht
entbehren; sie fürchtet sich, schöne Kleider entbehren zu müssen,
III. Klasse zu fahren, schlechtere Theaterplätze zu haben (das ist
nur lächerlich, wenn es aufgeschrieben wird) u.s.w. Andererseits ist
sie allerdings freundlich zu mir (freilich nicht im Gespräch; sie
antwortet nicht), wir gehen eingehängt durch alle Gassen wie die glücklichsten
Verlobten ; sagen uns Du, auch vor dem Dr. Weiß, den wir einmal zufällig
treffen; in einem Medaillon, das F. im November geschenkt bekommen hat,
ist, wie mir F. zeigt, mein Bild; sie würde, wie sie sagt, einen andern
nicht heiraten; meine Briefe würde sie nie wegwerfen, meine Photografien
nicht zurückgeben wollen, ihre Photografien nicht zurücknehmen,
gern weiter schreiben, allerdings auch damit einverstanden sein, gar nicht
mehr zu schreiben. - Damit also habe ich die Nacht von Samstag auf
Sonntag, damit die Rückreise verbracht.
Ihr F. K.
[Am Rand der dritten Seite] Der Brief nach München ist natürlich
eingeworfen, nicht ohne Bedenken.
langen Brief an F. : Dieser Brief ist nicht erhalten. Kafka erwähnt ihn noch zweimal. Vgl. Briefe an Grete Bloch vom 3. und 9. März 194, S. 510 und S. 516.
Letzte Änderung: 11.2.2016 | werner.haas@univie.ac.at |