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An Grete Bloch

2.III.14
 


Liebes Fräulein, ich habe gerade jetzt einen langen Brief an F. geschrieben, ich weiß nicht, ob ich im richtigen Zustand bin, Ihnen von der Reise zu berichten (meine Karte aus Dresden haben Sie?). Dann ist es aber wieder wahr, dass, wenn ich jemandem zu berichten schuldig und von mir gedrängt bin, Sie, nur Sie es sind. Wenn mir etwas in diesen zwei Tagen wohlgetan hat, war es der Gedanke an Sie, an Ihre Zuverlässigkeit und Wahrhaftigkeit.

Nach Ihrer heutigen Karte scheinen Sie es meinem letzten Brief nicht geradezu entnommen zu haben, dass ich nach Berlin fahren wollte. Es stand bei mir schon etwa seit 10 Tagen fest, deshalb schrieb ich auch, dass mir F.'s Brief gerade in diesem Zeitpunkt angelegen kam, denn es bekam dann den Anschein, dass ich wegen dieses Briefes erst gefahren bin, wodurch dann F. wieder erkennen mußte, dass Sie mir einen Teil des Briefes mitgeteilt hatten. Dazu kam es aber nicht, ich log, dass ich von Ihnen seit 14 Tagen nichts gehört hatte und F. nahm das ohne weiters hin, besonders, da auch sie ohne Antwort von Ihnen ist, die sie gerade Samstag (ich kam gleichzeitig mit dem Briefträger) erwartete. Sie "rächen sich jetzt", behauptete F., und ich freute mich aus Bosheit. (Ich hatte nicht viel Gelegenheit zur Freude.)

Ich hatte mir einen Tag Urlaub genommen und war Freitag nachts in Berlin, noch unsicher, ob F, überhaupt in Berlin war. Samstag früh ging ich zu F. ins Bureau, schickte eine Karte (die Karte eines gewissen Gotthart, die ich gerade bei mir hatte, ich wollte für den Fall, dass mich das Mädchen dem Namen nach zufällig kennen sollte, nicht angestarrt werden) zu F. und wartete. Vor mir war die Telephonzentrale, die sich in meinem Fall niemals bewährt hatte. Ich war sehr glücklich, dort zu sein. Dann kam F. (in ihrem Zimmer waren gerade viele Leute), war ein wenig, nicht übermäßig erstaunt, recht freundlich und wir standen dort ein wenig beisammen. Dann war ich mittag eine Stunde in einer Konditorei mit ihr. Nach dem Bureau (da sah ich auch ihr Zimmer) gingen wir zwei Stunden herum. Abend war F. in einem Ball, den sie, wie sie sagte, aus geschäftlichen Gründen nicht versäumen durfte. Sonntag vormittag waren wir über 3 Stunden spazieren und in einem Kaffee. Nachmittag fuhr ich weg, F. hatte bestimmt versprochen zu kommen, kam aber nicht. Heute entschuldigt sie sich allerdings in einem Telegramm, es war ihr unmöglich; die Unmöglichkeit heißt Tante Marta oder ähnlich.

Das Ergebnis alles dessen war: F. hat mich ganz gern, das reicht aber ihrer Meinung nach für eine Ehe, für diese Ehe nicht hin; sie hat eine unüberwindliche Angst vor einer gemeinsamen Zukunft; sie könnte meine Eigenheiten vielleicht nicht ertragen; sie könnte Berlin nicht entbehren; sie fürchtet sich, schöne Kleider entbehren zu müssen, III. Klasse zu fahren, schlechtere Theaterplätze zu haben (das ist nur lächerlich, wenn es aufgeschrieben wird) u.s.w. Andererseits ist sie allerdings freundlich zu mir (freilich nicht im Gespräch; sie antwortet nicht), wir gehen eingehängt durch alle Gassen wie die glücklichsten Verlobten ; sagen uns Du, auch vor dem Dr. Weiß, den wir einmal zufällig treffen; in einem Medaillon, das F. im November geschenkt bekommen hat, ist, wie mir F. zeigt, mein Bild; sie würde, wie sie sagt, einen andern nicht heiraten; meine Briefe würde sie nie wegwerfen, meine Photografien nicht zurückgeben wollen, ihre Photografien nicht zurücknehmen, gern weiter schreiben, allerdings auch damit einverstanden sein, gar nicht mehr zu schreiben. - Damit also habe ich die Nacht von Samstag auf Sonntag, damit die Rückreise verbracht.

Ihr F. K.


[Am Rand der dritten Seite] Der Brief nach München ist natürlich eingeworfen, nicht ohne Bedenken.



langen Brief an F. : Dieser Brief ist nicht erhalten. Kafka erwähnt ihn noch zweimal. Vgl. Briefe an Grete Bloch vom 3. und 9. März 194, S. 510 und S. 516.


Letzte Änderung: 11.2.2016werner.haas@univie.ac.at