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An Grete Bloch

[Begonnen am 21. oder 22., beendet am 25. Februar 1914]
 


Liebes Fräulein, so häßliche Worte wie "mitteilungsunwürdige Zustände" dürfen Sie mir nicht wegnehmen, die gehören mir und haben in Ihren Briefen nichts zu tun. Im Miterleben der Zustände eines andern (nicht im Mitgefühl; vor den Menschen macht das keinen Unterschied, erst vor Gott) glaube ich manchmal bis an die Grenzen menschlicher Kraft kommen zu können; nennen Sie nicht "mitteilungsunwürdig" die Zustände eines Menschen, der mir sehr nahe geht. Sie sind weder unwürdig vom Erzähler aus, noch ist der Zuhörer ihrer unwürdig, trotzdem man sonst nicht genug Schlechtes über ihn sagen kann.

Vielleicht ist es notwendig, in der Aufrichtigkeit hier noch ein Stück weiterzugehn. Ich schrieb Ihnen den ersten Brief nur F.'s wegen, daran ist ja gar kein Zweifel. Ich wollte Hilfe und war dabei roh wie ein unglückliches Kind. Daher kommt es auch, dass Sie sich einmal so große Vorwürfe wegen meiner Berliner Reise machten. Das sind doch lauter Vorstellungen, die Ihnen durch meine Briefe aufgedrängt worden sind. "Die Ereignisse des Monates November" schrieben Sie einmal. Was für Ereignisse denn? Was für Dinge denn, die sich nicht im Laufe der 1½ Jahre fast ununterbrochen wiederholt hätten, wie Trommelschläge, deren Klöppel eben in meinen unglücklichen Händen waren.

Die Briefe aber, in denen ich Sie um Hilfe bat, sind vorüber. Sie haben getan, was Sie konnten und in Ihrer Güte fast mehr als Sie durften. Sie ziehn rechts und links das Leid an sich, das in dieser Sache steckt, Sie haben sich in Prag meine "Nein" gefallen [lassen] müssen (es muß doch noch etwas an mir sein, wenn ich die Frechheit meines ersten kleinen Briefes an Sie aufzubringen imstande war) und hören jetzt das Ihnen noch viel nähergehende und überdies unklare "Nein" F.'s. Ich bitte also nicht mehr um Hilfe, was einen großen Umschwung bedeutet, denn ich hätte früher noch dringender gebeten, wenn nicht der schon längst nicht mehr berechtigte Anschein gewesen wäre, dass ich Ihnen schreibe, nur um zu bitten, ein Anschein, der, ich gebe sogar das zu, länger berechtigt war, als ich es äußerlich zugestand. Ich will keine Hilfe mehr, nur hören will ich (wenn Sie es nur ein wenig wollen), wie es Ihnen geht. Mischt sich eine Nachricht über F. ein, wird es gewiß sehr gut sein, aber selbst dann wird es nicht die Hauptsache sein. Wenn uns zweien, F. und mir, zu helfen ist, müssen wir es selbst tun; Ihre Mühe und der Lohn dieser Mühe sind ein Zeichen dessen. Es handelt sich ja nicht um Äußeres, wo man helfen könnte, sondern um Schuld, hier und dort, hier allerdings mehr, unausschöpflich mehr. Vielleicht gelingt diese Selbsthilfe einmal doch und sollte ich darüber auch weißhaarig werden, die Weißhaarigkeit geht ja auch schnell vorwärts.

Wollen Sie also Ihre Briefe an mich so auffassen?


25.II


Das Vorige ist vor 3 oder 4 Tagen geschrieben, ich hatte den Brief auf eine endlose Mitteilung angelegt, mußte dann aufhören und so blieb er, wie es angefangenen Sachen geht, einige Tage liegen. Heute hätte ich ihn jedenfalls beendet.

Nun sehen Sie, liebes Fräulein, wie merkwürdig das ist. F.'s Brief und mein Brief sind vielleicht am gleichen Tag geschrieben. Vergleichen Sie sie!


II


Sie tun nicht schlecht, dass Sie mir die Sätze aus F.'s Brief schreiben, sondern Sie tun sehr gut, sehr lieb und sehr verständig. Schlecht ist nicht das, was Sie tun, schlecht ist nur Ihre Lage, in der Sie in dieser Sache augenblicklich durch F.'s ebenso wie durch meine Schuld sind. F.'s Brief tat mir zuerst sehr leid, nicht so sehr seines Inhalts wegen, als dass er gerade jetzt kommen mußte. Hätte ich aber nichts von ihm erfahren, wäre es allerdings für mich noch viel peinlicher gewesen. Freilich kommt es auf Peinlichkeit nicht mehr an.

Heute mache ich Schluß, trotzdem ich glaube, dass ich Ihnen eine Menge zu sagen habe. Nächstens. Ich bin jetzt, 7 Uhr abends, noch im Bureau und habe mir in Voraussicht dessen, dass ich wenig arbeiten werde, den angefangenen Brief mitgenommen. Ich werde Ihnen bald wieder schreiben. F. erfährt natürlich von Ihrem Brief nichts.

Was hat es für einen Sinn, im halbbeleuchteten Zimmer zu schlafen? Solche Versuche sind nicht recht. Wozu das Licht, da Sie doch immerhin schlafen? Muß das Licht nicht Ihren Schlaf stören oder zumindest schlecht beeinflussen? Besonders, da es Gaslicht zu sein scheint. Und wie kann denn dann das Fenster während der Nacht ein wenig offenbleiben, wie es doch sein maß? Ich persönlich würde mich mit solchen Fragen nicht aufdrängen, das tut nur der Naturheilkundige in mir.

Herzliche Grüße F.K.


Die unterschiedliche Textfarbe wurde auf Grund der Ausgabe "Geteilte Post: 28 Briefe an Grete Bloch. Marbach am Neckar, 2011" gewählt. Laut dem Herausgeber Hans-Gerd Koch: "Aus zwölf dieser Briefe trennt sie jene Teile heraus, die persönliche Dinge betreffen oder falsche Rückschlüsse auf ihre Beziehung zu Kafka zulassen, und behält sie zurück. (Beim Abdruck im vorliegenden Band wurden diese fehlenden Teile in grauer Schrift ergänzt.)" Um die Lesbarkeit zu erleichtern, wurde für diese Webseite anstelle von grau eine blaue Schriftfarbe verwendet.

Letzte Änderung: 10.2.2016werner.haas@univie.ac.at