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An Grete Bloch

19.II.14
 


Liebes Fräulein, so wird es immer sein (falls Sie mir entgegen Ihrer sonstigen Pünktlichkeit nicht antworten oder falls Sie nicht von vornherein festsetzen, dass Sie mir erst in 1 oder 2 Wochen antworten wollen, womit ich mich dann allerdings zufrieden geben müßte), gleich maß ich mahnen oder wenigstens erinnern, denn ich bin leider dazu erzogen worden, hinter jedem Schweigen einen Haken zu fürchten, der mir an den Hals gehe könnte. Hoffentlich ist es nichts derartiges, sondern bloß Ihre viele Arbeit, was schon allerdings schlimm genug wäre oder was schon viel besser wäre, die Gräfin Thürheim [Mein Leben hält Sie Abend für Abend.

Mir ist übrigens seit meinem letzten Brief ein eigentümliches Glück widerfahren, das ich Ihnen, die ich mit meinem Leid nicht verschone, auch nicht verschweigen darf. Mein letzter näherer, unverheirateter oder unverlobter Freund [Felix Weltsch] hat sich verlobt; dass es zu dieser Verlobung kommen wird, wußte ich seit 3 Jahren (es gehörte für den Unbeteiligten kein großer Scharfsinn dazu), er und sie aber erst seit 14 Tagen. Dadurch verliere ich allerdings gewissermaßen einen Freund, denn ein verheirateter ist keiner. Was man ihm sagt, erfährt stillschweigend oder ausdrücklich auch seine Frau, und es gibt vielleicht keine Frau, in deren Kopf sich bei diesem Übergang nicht alles verzerrte. Überdies kann man, selbst wenn dieses nicht wäre, gar nicht rein an ihn mehr denken oder innerlich ihn tröstend und helfend, ja nicht einmal mit den Möglichkeiten des Trostes und der Hilfe wirken lassen, denn jetzt hat man, wie immer es auch sei, sich gegenüber nur eine Gemeinschaft. Aber abgesehen davon, dass ich ihm natürlich alles Gute wünsche, hat es auch für mich noch eine Glückseite, wenigstens jetzt. Wir haben nämlich, trotzdem wir doch nicht so übermäßig alt sind, er ist sogar um 1½ Jahr jünger als ich, eine Art junggesellenhafter Brüderschaft gebildet, die wenigstens für mein Gefühl geradezu gespensterhaft war in manchen Augenblicken. Jetzt ist das gelöst, ich bin frei, für sich kann jeder sein wie er will und ist; in ein solches vereinzeltes Gebilde kann niemand, kaum sein Besitzer, bis in den Grund hineinschauen, um sich dort zu entsetzen, während eine Gruppe immerhin leichter zugänglich, beurteilungsfähig ist. Beglückwünschen Sie mich, und wäre es auch nur eine maskierte Bitte um einen Brief. Wie beurteilen Sie F Karte?

Herzliche Grüße F. K.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at