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An Grete Bloch

23.1.14
 

Liebes Fräulein!

Schade, dass ich nicht mit Ihnen sprechen konnte, als Sie in Prag waren. Ich kann mir gar nicht denken, dass man mich nicht zum Telephon geholt hätte, als Sie mich anriefen. Aber vielleicht war die Verbindung überhaupt gestört. Jedenfalls ist der Ausdruck "dass ich nicht zum Telephon zu bewegen gewesen wäre" nicht richtig, ich wäre nicht nur zu bewegen gewesen, ich wäre sogar ordentlich gerannt. Eher kann ich sagen, dass Ihnen nicht übermäßig viel daran lag, mit mir zu sprechen, und das ist allerdings das Verständlichste.

Nehmen Sie mir meine Nachlässigkeit im Schreiben nicht übel, es war auch nicht Nachlässigkeit. So freundlich Ihr vorletzter oder vielmehr vorvorletzter Brief war, ich konnte nicht auf ihn antworten. Überempfindlich, wie ich in allem bin, was Beziehung zu F. hat, schmeckte ich etwas Bitteres in dem Brief, etwas (trotz aller nicht nur äußerlichen Güte) mir fast Feindseliges. Ich schmeckte es nur, ich glaubte eigentlich nicht daran; ich hatte Ihnen schon in Prag zu viel Unrecht getan, um jetzt auch noch etwas derartiges geradezu zu glauben. Trotzdem aber hätte ich ohne Falschheit nicht antworten können; ich schrieb auch diesen falschen Brief nieder, trug ihn 2 Tage in der Tasche und war, als damals gerade Ihr vorletzter Brief kam, froh, meinen Brief nicht weggeschickt zuhaben. Das seid widerliche Künstlichkeiten von meiner Seite, gewiß. Ich bin auch sonst gar nicht so, habe kaum jemals Verdacht, weiß die kleinste Freundlichkeit einzuschätzen, habe von Ihnen nur Gutes, in der selbstlosesten Weise gegebenes Gutes, erfahren, -es gibt keine andere Erklärung für mein Gefühl, als dass die Unerträglichkeit, Unklarheit und dabei ewig bohrende Lebendigkeit meines Verhältnis(ses] zu F. mich auch Ihnen gegenüber auf einem ganz falschen Platze hält. Wehrt ich offen sagen soll, was mir den vorvorletzten Brief unbeantwortbar machte, so war es - es war nicht allein das, aber es war doch die Hauptsache - dass nichts von F. drin stand, während Sie in den frühem Briefen, als Sie noch keine Nachrichten von F. hatten, dies immerhin mitgeteilt hatten. Ich will nicht sagen, dass Sie mich mit diesem Schweigen strafen oder quälen wollten, nein, das will ich natürlich gar nicht sagen, aber für mich war es doch beides. Vielleicht wußten Sie auch tatsächlich nichts von F., vielleicht wollten Sie gefragt sein - diese Möglichkeiten änderten für mich nichts.

Heute allerdings ist einiges anders geworden. Für den tatwahrscheinlichen Fall, dass Sie es nicht wissen sollten (ich nehme auch an, dass Sie Weihnachten in Berlin waren), kann ich es ja sagen, da es nicht eigentlich F.'s Geheimnis ist: Ich habe sie neuerlich um ihre Hand gebeten (ich erzähle es hier nur ganz kurz, es war ein wochenlanges Hin- und Her) und habe keine oder fast keine Antwort bekommen. Von mir aus könnte ich F.'s Verhalten verstehn, das Schweigen, meine ich, das Belassen der Unklarheit, aus ihrem Wesen, wie ich es zu erkennen glaubte, verstehe ich es nicht.

Nur um eines bitte ich Sie (und nehme Ihren letzten unerwarteten Brief als ein gutes Zeichen dafür, dass Sie mir, so wenig ich es verdiene, antworten werden, und zwar sehr bald, aus einem bestimmten Grunde bitte ich sehr bald), wie geht es F.? Gut? Oder leidet sie? Oder ist beides da?

Ihr F. Kafka




23.1.14: Abgeschickt erst am 26. Januar. Vgl. Tagebücher (26. Januar 1914), S. 354.


Ihr vorletzter ... antworten: Vgl. Tagebücher (24. Januar 1914), S. 353.


keine Antwort bekommen:Vgl. Brief an Felice vom 2. Januar 1914, S. 483 f.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at