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An Grete Bloch
Liebes Fräulein!
Schade, dass ich nicht mit Ihnen sprechen konnte, als Sie in Prag
waren. Ich kann mir gar nicht denken, dass man mich nicht zum Telephon
geholt hätte, als Sie mich anriefen. Aber vielleicht war die Verbindung
überhaupt gestört. Jedenfalls ist der Ausdruck "dass
ich nicht zum Telephon zu bewegen gewesen wäre" nicht richtig,
ich wäre nicht nur zu bewegen gewesen, ich wäre sogar ordentlich
gerannt. Eher kann ich sagen, dass Ihnen nicht übermäßig
viel daran lag, mit mir zu sprechen, und das ist allerdings das Verständlichste.
Nehmen Sie mir meine Nachlässigkeit im Schreiben nicht übel,
es war auch nicht Nachlässigkeit. So freundlich Ihr
vorletzter oder vielmehr vorvorletzter Brief war, ich konnte nicht auf
ihn antworten. Überempfindlich, wie ich in allem bin, was Beziehung
zu F. hat, schmeckte ich etwas Bitteres in dem Brief, etwas (trotz aller
nicht nur äußerlichen Güte) mir fast Feindseliges. Ich
schmeckte es nur, ich glaubte eigentlich nicht daran; ich hatte Ihnen schon
in Prag zu viel Unrecht getan, um jetzt auch noch etwas derartiges geradezu
zu glauben. Trotzdem aber hätte ich ohne Falschheit nicht antworten
können; ich schrieb auch diesen falschen Brief nieder, trug ihn 2
Tage in der Tasche und war, als damals gerade Ihr vorletzter Brief kam,
froh, meinen Brief nicht weggeschickt zuhaben. Das seid widerliche Künstlichkeiten
von meiner Seite, gewiß. Ich bin auch sonst gar nicht so, habe kaum
jemals Verdacht, weiß die kleinste Freundlichkeit einzuschätzen,
habe von Ihnen nur Gutes, in der selbstlosesten Weise gegebenes Gutes,
erfahren, -es gibt keine andere Erklärung für mein Gefühl,
als dass die Unerträglichkeit, Unklarheit und dabei ewig bohrende
Lebendigkeit meines Verhältnis(ses] zu F. mich auch Ihnen gegenüber
auf einem ganz falschen Platze hält. Wehrt ich offen sagen soll, was
mir den vorvorletzten Brief unbeantwortbar machte, so war es - es war nicht
allein das, aber es war doch die Hauptsache - dass nichts von F. drin
stand, während Sie in den frühem Briefen, als Sie noch keine
Nachrichten von F. hatten, dies immerhin mitgeteilt hatten. Ich will nicht
sagen, dass Sie mich mit diesem Schweigen strafen oder quälen
wollten, nein, das will ich natürlich gar nicht sagen, aber für
mich war es doch beides. Vielleicht wußten Sie auch tatsächlich
nichts von F., vielleicht wollten Sie gefragt sein - diese Möglichkeiten
änderten für mich nichts.
Heute allerdings ist einiges anders geworden. Für den tatwahrscheinlichen
Fall, dass Sie es nicht wissen sollten (ich nehme auch an, dass
Sie Weihnachten in Berlin waren), kann ich es ja sagen, da es nicht eigentlich
F.'s Geheimnis ist: Ich habe sie neuerlich um ihre Hand gebeten (ich erzähle
es hier nur ganz kurz, es war ein wochenlanges Hin- und Her) und habe keine
oder fast keine Antwort bekommen. Von mir aus könnte
ich F.'s Verhalten verstehn, das Schweigen, meine ich, das Belassen der
Unklarheit, aus ihrem Wesen, wie ich es zu erkennen glaubte, verstehe ich
es nicht.
Nur um eines bitte ich Sie (und nehme Ihren letzten unerwarteten Brief
als ein gutes Zeichen dafür, dass Sie mir, so wenig ich es verdiene,
antworten werden, und zwar sehr bald, aus einem bestimmten Grunde bitte
ich sehr bald), wie geht es F.? Gut? Oder leidet sie? Oder ist beides
da?
Ihr F. Kafka
23.1.14: Abgeschickt erst am 26. Januar. Vgl. Tagebücher
(26. Januar 1914), S. 354.
Ihr vorletzter ... antworten: Vgl. Tagebücher
(24. Januar 1914), S. 353.
keine Antwort bekommen:Vgl. Brief an Felice vom
2. Januar 1914, S. 483 f.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at