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An Lise Weltsch
Liebes Fräulein,
ein zerschnittener Daumen hat mich gehindert, Ihnen in lesbarer Schrift
früher für Ihren freundlichen Brief zu danken. Es überrascht
mich nicht, dass Sie sich rasch eingelebt haben. Es wäre sogar
ganz bestimmt auch ohne Freunde geglückt. Und es ist doch wunderbar
von zuhause wegzukommen, auch wenn Sie es leugnen. Das kann nur ein Außenstehender
im Augenblick beurteilen und der, welcher im Wunderbaren steckt, muß
es ihm glauben, auch wenn er es noch nicht fühlen kann, denn es dringt
ja erst in ihn ein.
Ich hatte es mir im ersten Augenblick gar nicht recht überlegt, dass
Sie gleich in einen großen Kreis von Menschen kommen werden, mit
denen Sie so vielerlei und so Wichtiges verbindet, dass Sie kaum Zeit
und jedenfalls keine Notwendigkeit haben, gleich und sei es auch mit irgendwelchen
kleinen Umständlichkeiten verknüpft, mit fremden Menschen zusammenzukommen.
Es wird Sie wohl zunächst genug, allerdings durchaus gesunde, Anstrengung
kosten, sich mit den notwendigen Bekannten auseinanderzusetzen. Hätte
ich das nicht eingesehen, so hätte ich Ihnen wohl auch mit blutendem
Daumen geschrieben.
Trotzdem würde ich Sie, wenn Sie es ermöglichen könnten,
Pfingsten sehr gerne sehn: Aber Sie machen wohl, wenn Sie nicht in Prag
sind, irgendeinen Ausflug und sind dann auch in Berlin nicht. Ich komme
Samstag vor Pfingstsonntag hin und bleibe bis Dienstag nachmittag. Sind
Sie telephonisch erreichbar? Dann wäre es wohl das Beste, ich rufe
Sie Pfingstsonntag vormittag an und frage.
Mit den herzlichsten Grüßen
Ihr F. Kafka
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at