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[Tagebuch, 11. Dezember 1913; Donnerstag]

11 XII 13 In der Toynbeehalle den Anfang von Michael Kohlhaas gelesen. Ganz und gar mißlungen. Schlecht ausgewählt, schlecht vorgetragen, schließlich sinnlos im Text herumgeschwommen. Musterhafte Zuhörerschaft. Ganz kleine Jungen in der ersten Reihe. Einer sucht seiner unschuldigen Langweile dadurch beizukommen, dass er die Mütze vorsichtig auf den Boden wirft und dann vorsichtig aufhebt und so öfters. Da er zu klein ist, um das vom Sitz aus auszuführen, muß er immer ein wenig vom Sessel sich abgleiten lassen. Wild und schlecht und unvorsichtig und unverständlich gelesen. Und am Nachmittag zitterte ich schon vor Begierde zu lesen, konnte kaum den Mund geschlossen halten.

Es ist wirklich kein Stoß nötig, nur ein Zurückziehn der letzten auf mich verwendeten Kraft und ich komme in eine Verzweiflung die mich zerreißt. Als ich mir heute vorstellte, dass ich während des Vortrags unbedingt ruhig sein werde, fragte ich mich, was das für eine Ruhe sein wird, wo sie begründet sein wird, und ich konnte nur sagen, dass es bloß eine Ruhe um ihrer selbst willen sein wird, eine unverständliche Gnade, sonst nichts.

Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at