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[Tagebuch, 15. August 1913; Freitag]

15 (August 1913) Qualen im Bett gegen Morgen. Einzige Lösung im Sprung aus dem Fenster gesehn. Die Mutter kam zum Bett und fragte, ob ich den Brief abgeschickt habe und ob es mein alter Text gewesen sei. Ich sagte, es wäre der alte Text, nur noch verschärfter. Sie sagte, sie verstehe mich nicht. Ich antwortete, sie verstehe mich allerdings nicht und nicht etwa nur in dieser Sache. Später fragte sie mich, ob ich dem Onkel Alfred schreiben werde, er verdiene es, dass ich ihm schreibe. Ich fragte, wodurch er es verdiene. Er hat telegraphiert, er hat geschrieben, er meint es so gut mit Dir. "Das sind nur Äußerlichkeiten" sagte ich "er ist mir ganz fremd, er mißversteht mich vollständig, er weiß nicht, was ich will und brauche, ich habe nichts mit ihm zu tun. " "Also keiner versteht Dich" sagte die Mutter "ich bin Dir wahrscheinlich auch fremd, und der Vater auch. Wir alle wollen also nur Dein Schlechtes." "Gewiß Ihr seid mir alle fremd, nur die Blutnähe besteht, aber sie äußert sich nicht. Mein Schlechtes wollt Ihr gewiß nicht. "

Durch dieses und durch einige andere Selbstbeobachtungen bin ich dazu geführt worden, dass in meiner immer größer werdenden innern Bestimmtheit und Überzeugtheit Möglichkeiten liegen, in einer Ehe trotz allem bestehen zu können, ja sie sogar zu einer für meine Bestimmung vorteilhaften Entwicklung zu führen. Es ist das allerdings ein Glaube, den ich gewissermaßen schon auf der Fensterkante fasse.

Ich werde mich bis zur Besinnungslosigkeit von allen absperren. Mit allen mich verfeinden, mit niemandem reden. -

Der Mann mit den dunklen, streng blickenden Augen, der den Haufen alter Mäntel auf der Achsel trug.

Leopold S. großer starker Mann, ungelenke ziehende Bewegungen, lose hängende, faltige, schwarzweiß karrierte Kleider eilt durch die Tür rechts in das große Zimmer, schlägt in die Hände und ruft Felice! Felice! Ohne einen Augenblick auf den Erfolg seines Rufens zu warten, eilt er zur Mitteltür, die er, wieder Felice rufend, öffnet.

Felice S. tritt durch die linke Tür ein, bleibt an der Türe stehn, 40 jährige Frau in Küchenschürze

Hier bin ich schon Leo. Wie Du nervös geworden bist in der letzten Zeit! Was willst Du denn?

Leopold. dreht sich mit einem Ruck um, bleibt dann stehn und nagt an den Lippen

Nun also! Komm doch her! (er geht zum Kanapee)

F. (rührt sich nicht) Schnell! Was willst Du? Ich muß doch in die Küche.

L. (vom Kanapee aus) Laß die Küche! Komm her! Ich will Dir etwas Wichtiges sagen. Es steht dafür. Komm doch!

F. (geht langsam hin, zieht die Tragbänder der Schürze in die Höhe)

Nun was ist es denn so Wichtiges? Wenn Du mich zum Narren hältst, bin ich bös, aber ernstlich. (Bleibt vor ihm stehn)

L. Also setz Dich doch!

F. Und wie wenn ich nicht will.

L. Dann kann ich es Dir nicht sagen. Ich muß Dich nahe bei mir haben.

F. Nun sitze ich also schon.

Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at