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An Felice Bauer

30.VIII.I3
 


Liebste Felice, Du kennst mich nicht, in meinem Schlechtsein kennst Du mich nicht, und auch mein Schlechtsein geht auf jenen Kern zurück, den Du Literatur nennen kannst oder wie Du willst. Was für ein elender Schreiber und wie böse über mich selbst hinaus bin ich doch, dass ich Dich davon nicht überzeugen konnte. (Seit früh und auch jetzt halte ich die Hand an der linken Schläfe, es geht nicht anders.)

Es sind ja kaum Tatsachen, die mich hindern, es ist Furcht, eine unüberwindliche Furcht, eine Furcht davor, glücklich zu werden, eine Lust und ein Befehl, mich zu quälen für einen höheren Zweck. Daß Du, Liebste, mit mir unter die Räder dieses Wagens kommen mußt, der nur für mich bestimmt ist, das ist allerdings schrecklich. Die innere Stimme verweist mich ins Dunkel und in Wirklichkeit zieht es mich zu Dir, das ist nichts zu Vereinbarendes, und wenn wir es doch versuchen, trifft es mit gleichen Schlägen Dich und mich.

Liebste, ich will Dich doch nicht anders haben, als Du bist, ich liebe doch Dich und keine Gestalt in der Luft. Aber dann kommt wieder die Tyrannei, die ich durch mein bloßes Dasein über Dir ausüben muß, dieser Widerspruch zerreißt mich. Auch er zeigt die Unmöglichkeit.

Wärest Du hier, sähe ich Dich leiden (es wäre nicht das allein, Dein Leiden in der Ferne ist mir ärger), hätte ich die Möglichkeit zu helfen, würden wir gleich heiraten können, besinnungslos, ich ließe natürlich alles und auch dem Unglück ließ ich seinen Weg. Aber gegenwärtig ist dieser Ausweg nicht zu finden. Ich könnte mit dem Blick auf Deinen heutigen lieben, selbstmörderischen Brief Dir versprechen, alles so zu lassen, wie es in Deinem Sinne war und Dich nicht mehr zu quälen. Aber wie oft habe ich das versprochen! Ich kann nicht für mich bürgen. In Deinem nächsten Brief oder vielleicht heute in der Nacht kommt diese Angst wieder, ich entgehe ihr nicht, die Zeit bis zur Heirat wäre nicht durchzubringen. Was sich bisher jeden Monat wiederholte, wird sich jede Woche wiederholen. In jedem zweiten Brief werde ich dafür beängstigende Anknüpfungen finden, und dieser schreckliche Kreisel in mir wird wieder in Gang gebracht sein. Das wird nicht Deine Schuld sein, war es niemals, Felice, es ist die Schuld einer allgemeinen Unmöglichkeit. Ich las z. B. Deinen letzten Brief. Du wirst Dir nicht vorstellen können mit welchen angsterfüllten Gedanken. Da standen die Überlegungen, durch welche Deine Eltern dazu geführt worden waren, ihre Zustimmung zu geben. Was kümmerten mich diese Überlegungen, ich haßte diese Überlegungen. Du schriebst von der möglichen Liebe Deiner Mutter zu mir, was fing ich mit dieser Liebe an, ich, der sie niemals erwidern, der dieser Liebe niemals entsprechen konnte und wollte. Selbst vor der ausführlichen Besprechung mit Deinen Eltern erschrak ich. Selbst vor der Verbindung zwischen Verlobung und Feiertagen und dem Aussprechen dieser Verbindung erschrak ich. Das ist Irrsinn, ich überblicke das gut, aber gleichzeitig ein unausrottbarer, das weiß ich.

Und das alles sind doch nur Zeichen meines ganzen Wesens, das an Dir immerfort rütteln würde. Erkenne das doch, Felice, ich liege auf dem Boden vor Dir und bitte, stoße mich fort, alles andere ist unser beider Untergang. Das ist das Wort, das ich, glaube ich, etwa im Jänner geschrieben habe, es bricht wieder durch, es ist nicht zurückzuhalten. Du würdest es selbst sagen, wenn ich mich vor Dir aufreißen könnte.

Franz


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at