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An Felice Bauer
Liebste Felice, Du kennst mich nicht, in meinem Schlechtsein kennst Du
mich nicht, und auch mein Schlechtsein geht auf jenen Kern zurück,
den Du Literatur nennen kannst oder wie Du willst. Was für ein elender
Schreiber und wie böse über mich selbst hinaus bin ich doch,
dass ich Dich davon nicht überzeugen konnte. (Seit früh
und auch jetzt halte ich die Hand an der linken Schläfe, es geht nicht
anders.)
Es sind ja kaum Tatsachen, die mich hindern, es ist Furcht, eine unüberwindliche
Furcht, eine Furcht davor, glücklich zu werden, eine Lust und ein
Befehl, mich zu quälen für einen höheren Zweck. Daß
Du, Liebste, mit mir unter die Räder dieses Wagens kommen mußt,
der nur für mich bestimmt ist, das ist allerdings schrecklich. Die
innere Stimme verweist mich ins Dunkel und in Wirklichkeit zieht es mich
zu Dir, das ist nichts zu Vereinbarendes, und wenn wir es doch versuchen,
trifft es mit gleichen Schlägen Dich und mich.
Liebste, ich will Dich doch nicht anders haben, als Du bist, ich liebe
doch Dich und keine Gestalt in der Luft. Aber dann kommt wieder die Tyrannei,
die ich durch mein bloßes Dasein über Dir ausüben muß,
dieser Widerspruch zerreißt mich. Auch er zeigt die Unmöglichkeit.
Wärest Du hier, sähe ich Dich leiden (es wäre nicht das
allein, Dein Leiden in der Ferne ist mir ärger), hätte ich die
Möglichkeit zu helfen, würden wir gleich heiraten können,
besinnungslos, ich ließe natürlich alles und auch dem Unglück
ließ ich seinen Weg. Aber gegenwärtig ist dieser Ausweg nicht
zu finden. Ich könnte mit dem Blick auf Deinen heutigen lieben, selbstmörderischen
Brief Dir versprechen, alles so zu lassen, wie es in Deinem Sinne war und
Dich nicht mehr zu quälen. Aber wie oft habe ich das versprochen!
Ich kann nicht für mich bürgen. In Deinem nächsten Brief
oder vielleicht heute in der Nacht kommt diese Angst wieder, ich entgehe
ihr nicht, die Zeit bis zur Heirat wäre nicht durchzubringen. Was
sich bisher jeden Monat wiederholte, wird sich jede Woche wiederholen.
In jedem zweiten Brief werde ich dafür beängstigende Anknüpfungen
finden, und dieser schreckliche Kreisel in mir wird wieder in Gang gebracht
sein. Das wird nicht Deine Schuld sein, war es niemals, Felice, es ist
die Schuld einer allgemeinen Unmöglichkeit. Ich las z. B. Deinen letzten
Brief. Du wirst Dir nicht vorstellen können mit welchen angsterfüllten
Gedanken. Da standen die Überlegungen, durch welche Deine Eltern dazu
geführt worden waren, ihre Zustimmung zu geben. Was kümmerten
mich diese Überlegungen, ich haßte diese Überlegungen.
Du schriebst von der möglichen Liebe Deiner Mutter zu mir, was fing
ich mit dieser Liebe an, ich, der sie niemals erwidern, der dieser Liebe
niemals entsprechen konnte und wollte. Selbst vor der ausführlichen
Besprechung mit Deinen Eltern erschrak ich. Selbst vor der Verbindung zwischen
Verlobung und Feiertagen und dem Aussprechen dieser Verbindung erschrak
ich. Das ist Irrsinn, ich überblicke das gut, aber gleichzeitig ein
unausrottbarer, das weiß ich.
Und das alles sind doch nur Zeichen meines ganzen Wesens, das an Dir immerfort
rütteln würde. Erkenne das doch, Felice, ich liege auf dem Boden
vor Dir und bitte, stoße mich fort, alles andere ist unser beider
Untergang. Das ist das Wort, das ich, glaube ich, etwa im Jänner geschrieben
habe, es bricht wieder durch, es ist nicht zurückzuhalten. Du würdest
es selbst sagen, wenn ich mich vor Dir aufreißen könnte.
Franz
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at