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An Felice Bauer
Du fragst, wie es mir gegangen ist? Es ist mir so gegangen, dass ich,
seitdem ich Dein Telegramm habe, also seit 4 Tagen, den Brief an Deinen
Vater fertiggeschrieben in der Schublade habe.
Als ich heute Deinen Brief gelesen hatte, ging ich gleich ins Nebenzimmer,
wo die Eltern nach dem Mittagessen immer ein wenig Karten spielen und fragte
sofort: "Vater, was sagst Du also dazu, dass ich heiraten will?"
Es ist das erste Wort, das ich mit dem Vater über Dich gesprochen
habe. Von der Mutter weiß er natürlich alles, was die Mutter
weiß. Sagte ich Dir schon einmal, dass ich meinen Vater bewundere?
dass er mein Feind ist und ich seiner, so wie es durch unsere Natur
bestimmt ist, das weißt Du, aber außerdem ist meine Bewunderung
seiner Person vielleicht so groß wie meine Angst vor ihm. An ihm
vorbei kann ich zur Not, über ihn hinweg nicht. Wie jedes unserer
Gespräche (aber es war kein Gespräch wie eben jedes unserer angeblichen
Gespräche, es waren haltlose Bemerkungen von meiner und sehr kräftige
Reden von seiner Seite) wie jedes unserer Gespräche begann auch dieses
mit gereizten Bemerkungen von seiner und mit der Feststellung dieser Gereiztheit
von meiner Seite. Ich fühle mich jetzt außerstande, zu schwach,
um das Ganze zu beschreiben, ohne aber etwa durch das Gespräch besonders
hergenommen zu sein, denn meine Unterlegenheit gegenüber meinem Vater
ist mir ja bekannt und klar und greift meinen Vater gewiß viel mehr
an, als mich. Das Wesentliche war, dass er mir die Not darstellte,
in die ich durch Heirat mit meinem Einkommen geraten muß, ohne die
Not bei meinem Mangel an Konsequenz (hier kamen gräßliche Vorwürfe,
dass ich ihn zur Beteiligung an der verfehlten Asbestfabrik verlockt
habe und mich jetzt um sie nicht kümmere) ertragen oder gar beseitigen
zu können. Als Nebenargument, dessen Zusammenhang mit meiner Sache
mir nicht mehr ganz klar ist, aber damals bestand machte er zum Teil ins
Leere, zum Teil meiner Mutter, zum Teil auch mir Vorwürfe wegen der
Ehe meiner zweiten Schwester, mit der er in financieller Hinsicht (berechtigter
Weise) nicht zufrieden ist. So verlief vielleicht eine halbe Stunde. Schließlich,
wie meistens gegen Schluß solcher Szenen, wird er sanft, nicht sehr
sanft an und für sich, aber vergleichsweise so sanft, dass man
sich ihm gegenüber nicht zu helfen weiß, besonders ich, der
ich für ihn überhaupt kein natürlich empfundenes Wort habe.
(Das Merkwürdigste in meinem Verhältnis zu ihm ist aber vielleicht,
dass ich es bis aufs äußerste verstehe, nicht mit ihm,
aber in ihm zu fühlen und zu leiden.) Und so sagte er also zum Schluß
(die Übergänge fehlen eben in meiner Beschreibung), er sei bereit,
wenn ich es will, nach Berlin zu fahren, zu Euch zu gehn, die seiner Meinung
nach unwiderleglichen Einwände vorzubringen und, wenn man über
diese Einwände hinweg einer Heirat zustimmt, auch nichts mehr einwenden
zu wollen.
Nun mische Dich Du, Felice, in mein Gespräch mit dem Vater. Du mußt
mir schon ein wenig helfen standzuhalten. Für Dich ist ja mein Vater
ein fremder Mann. Wäre es also als Anfang gut, wenn er nach Berlin
fährt? Ist jetzt die richtige Zeit? Und wie wäre es einzuleiten?
Da sind Antworten, klug und schnell wie Schlangen nötig.
Franz
Letzte Änderung: 28.5.2016 werner.haas@univie.ac.at