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An Felice Bauer

24. VIII. 13
 


Du fragst, wie es mir gegangen ist? Es ist mir so gegangen, dass ich, seitdem ich Dein Telegramm habe, also seit 4 Tagen, den Brief an Deinen Vater fertiggeschrieben in der Schublade habe.

Als ich heute Deinen Brief gelesen hatte, ging ich gleich ins Nebenzimmer, wo die Eltern nach dem Mittagessen immer ein wenig Karten spielen und fragte sofort: "Vater, was sagst Du also dazu, dass ich heiraten will?" Es ist das erste Wort, das ich mit dem Vater über Dich gesprochen habe. Von der Mutter weiß er natürlich alles, was die Mutter weiß. Sagte ich Dir schon einmal, dass ich meinen Vater bewundere? dass er mein Feind ist und ich seiner, so wie es durch unsere Natur bestimmt ist, das weißt Du, aber außerdem ist meine Bewunderung seiner Person vielleicht so groß wie meine Angst vor ihm. An ihm vorbei kann ich zur Not, über ihn hinweg nicht. Wie jedes unserer Gespräche (aber es war kein Gespräch wie eben jedes unserer angeblichen Gespräche, es waren haltlose Bemerkungen von meiner und sehr kräftige Reden von seiner Seite) wie jedes unserer Gespräche begann auch dieses mit gereizten Bemerkungen von seiner und mit der Feststellung dieser Gereiztheit von meiner Seite. Ich fühle mich jetzt außerstande, zu schwach, um das Ganze zu beschreiben, ohne aber etwa durch das Gespräch besonders hergenommen zu sein, denn meine Unterlegenheit gegenüber meinem Vater ist mir ja bekannt und klar und greift meinen Vater gewiß viel mehr an, als mich. Das Wesentliche war, dass er mir die Not darstellte, in die ich durch Heirat mit meinem Einkommen geraten muß, ohne die Not bei meinem Mangel an Konsequenz (hier kamen gräßliche Vorwürfe, dass ich ihn zur Beteiligung an der verfehlten Asbestfabrik verlockt habe und mich jetzt um sie nicht kümmere) ertragen oder gar beseitigen zu können. Als Nebenargument, dessen Zusammenhang mit meiner Sache mir nicht mehr ganz klar ist, aber damals bestand machte er zum Teil ins Leere, zum Teil meiner Mutter, zum Teil auch mir Vorwürfe wegen der Ehe meiner zweiten Schwester, mit der er in financieller Hinsicht (berechtigter Weise) nicht zufrieden ist. So verlief vielleicht eine halbe Stunde. Schließlich, wie meistens gegen Schluß solcher Szenen, wird er sanft, nicht sehr sanft an und für sich, aber vergleichsweise so sanft, dass man sich ihm gegenüber nicht zu helfen weiß, besonders ich, der ich für ihn überhaupt kein natürlich empfundenes Wort habe. (Das Merkwürdigste in meinem Verhältnis zu ihm ist aber vielleicht, dass ich es bis aufs äußerste verstehe, nicht mit ihm, aber in ihm zu fühlen und zu leiden.) Und so sagte er also zum Schluß (die Übergänge fehlen eben in meiner Beschreibung), er sei bereit, wenn ich es will, nach Berlin zu fahren, zu Euch zu gehn, die seiner Meinung nach unwiderleglichen Einwände vorzubringen und, wenn man über diese Einwände hinweg einer Heirat zustimmt, auch nichts mehr einwenden zu wollen.

Nun mische Dich Du, Felice, in mein Gespräch mit dem Vater. Du mußt mir schon ein wenig helfen standzuhalten. Für Dich ist ja mein Vater ein fremder Mann. Wäre es also als Anfang gut, wenn er nach Berlin fährt? Ist jetzt die richtige Zeit? Und wie wäre es einzuleiten? Da sind Antworten, klug und schnell wie Schlangen nötig.

Franz


VIII: Ein Versehen Kafkas bei der Monatsangabe.[Franz Kafka: Briefe an Felice Bauer und andere Korrespondenz aus der Verlobungszeit. Ausg. 2015.]
Letzte Änderung: 28.5.2016werner.haas@univie.ac.at