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An Felice Bauer

21. VIII. 13
 


Liebe Felice, ich kam gestern zu spät nachhause, als dass ich Dein gestriges Telegramm noch mit einem Telegramm hätte beantworten können. Auch mußtest Du gestern abend meinen Brief schon haben.

Sonntag an Dich zu schreiben, bin ich auf folgende Weise gehindert worden: Ich ging Sonntag in den Gassen allein herum und es fiel mir ein, dass wir über die wichtigste Angelegenheit oder über die zumindest (was für eine unsichere Hand ich heute habe, nicht? aber ich kann auch ruhig schreiben sieh nur!) mit dem Wichtigsten verknüpfte Angelegenheit nur wenig und meist andeutungsweise gesprochen oder geschrieben haben. Was war natürlicher, als dass ich mich mit großen Schritten nachhause wendete, um alles, klar bis zur Möglichkeit, aufzuschreiben und Dir vorzulegen. Es war Abend, das war für die Klarheit des Aufzuschreibenden von Vorteil. Was lag mir am Schlaf! Da traf ich einen Bekannten, wir kamen in ein beruhigendes, zerstreuendes, nichtssagendes Gespräch, und als ich ihn los war, dachte ich menschlicher, dachte an die Qual, die ich Dir die ganze Zeit bereitet hatte, und ließ vorläufig das Wichtigste ungeschrieben. War es eine Sünde von mir, nicht zu schreiben - und das war es gewiß - so war es eine gut gemeinte. Und als ich nun gar las, dass Du Montag im Bett gelegen bist und alles andere brauchtest als Sorgen, segnete ich meinen Bekannten.

Ob Du meiner Mutter schreiben sollst? Zuerst muß doch Dein Vater mir antworten. Dann aber, im günstigen Fall, tu das, was Dir lieber ist, der Mutter schreiben oder ihren Brief abwarten. Ich habe dafür kein Gefühl. Wenn Du willst, dass sie Dir zuerst schreibt, so wird sie Dir zuerst schreiben.

Nach Berlin komme ich kaum vor meinem Urlaub, Felice. Erstens hättest Du in meinem jetzigen Zustand wenig Freude an mir (womit ich spätern Eindrücken nicht vorgreifen will). Zweitens gefällt uns beiden (in den Gründen mögen Verschiedenheiten sein) die Verlobungszeit nicht. Es ist etwas Richtiges in den orientalischen Hochzeitsbräuchen, wo der Bräutigam erst bei der Hochzeit die Braut zu sehen bekommt. Der Schleier wird gehoben "das ist also Felice!" und er liegt ihr zu Füßen. Sie aber springt zurück, so erschrickt sie vor dem Weißhaarigen. Drittens will ich den Urlaub zusammenhalten, und ein Sonntag bleibt mir kaum mehr übrig. Das sind die allgemeinen Gründe. Billigst Du sie?

Franz


[am Rande] Die Photographien! Und den Brief der Schwester!


Letzte Änderung: 28.5.2016werner.haas@univie.ac.at