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An Felice Bauer

20. VIII. I3
 


Nun siehst Du, Felice, wie recht ich mit meinem Vorwurf hatte, dass Du nicht genug an mich denkst. Oder hast Du an mich gedacht, als Du Dich so weit vorwagtest, bis Du in Gefahr kamst? Nein, da war ich gar nicht in Deinen Gedanken. Und ist es jetzt schon gut? Und immer dieses Herzklopfen! Nein, Felice, darin will ich keine Annäherung an mich. Laß mein Herz sich benehmen, wie es den abgespielten Nerven beliebt, Deinem Herzen aber laß seinen ruhigen eingeborenen Gang. Und wie kann Halsentzündung Folge des Schrekkens sein? Ein wenig undeutlich ist das. War ein Arzt bei Dir? Sag, Felice, warst Du nicht widerstandsfähiger, ehe Du mich kanntest? Bin ich nicht mehr schuld als alle Wellen? Und hätte ich Dich auch nur halb so viel gequält in diesem Jahr wie mich, der wirklich nicht gerade zu meinem, aber zu Deinem künftigen Schrecken immer mehr weißes Haar bekommt. Einmal schriebst Du, dass Du Angst hattest vor einem kahlköpfigen Bewerber, und jetzt bietet Dir ein fast Weißhaariger den Ehemannsarm an.

Bei Deinem heutigen Brief fällt mir ein, dass wir zumindest in einer Hinsicht ganz gegensätzlich sind. Dich freut, Du benötigst die mündliche Aussprache, der unmittelbare Verkehr tut Dir wohl, Schreiben beirrt Dich, es ist Dir bloß ein unvollkommener Ersatz und meistens nicht einmal ein Ersatz, auf viele Briefe hast Du mir nicht eigentlich geantwortet, und zwar, wie es bei Deiner Güte und Bereitwilligkeit zweifellos ist, nur aus dem Grunde, weil Dir das Schreiben widerstrebte, so gern Du Dich z.B. mündlich zu diesem oder jenem geäußert hättest.

Bei mir ist ganz das Gegenteil der Fall. Mir widerstrebt das Reden ganz und gar. Was ich auch sage ist falsch in meinem Sinn. Die Rede nimmt allem, was ich sage, für mich den Ernst und die Wichtigkeit. Es scheint mir gar nicht anders möglich, da auf die Rede unaufhörlich tausend Äußerlichkeiten und tausend äußerliche Nötigungen wirken. Ich bin deshalb schweigsam, nicht nur aus Not, sondern auch aus Überzeugung. Nur das Schreiben ist die mir entsprechende Form [der] Äußerung, und sie wird es bleiben, auch wenn wir beisammen sind. Wird Dir aber, die Du von Deiner Natur auf das Sprechen und Zuhören angewiesen bist, das, was mir zu schreiben gegönnt sein wird, als meine wesentliche, einzige (zwar vielleicht nur an Dich gerichtete) Mitteilung genügen?

Franz


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at