Voriger Eintrag | Jahresübersicht | Indexseite | Nächster Eintrag |
An Felice Bauer
Nun siehst Du, Felice, wie recht ich mit meinem Vorwurf hatte, dass
Du nicht genug an mich denkst. Oder hast Du an mich gedacht, als Du Dich
so weit vorwagtest, bis Du in Gefahr kamst? Nein, da war ich gar nicht
in Deinen Gedanken. Und ist es jetzt schon gut? Und immer dieses Herzklopfen!
Nein, Felice, darin will ich keine Annäherung an mich. Laß mein
Herz sich benehmen, wie es den abgespielten Nerven beliebt, Deinem Herzen
aber laß seinen ruhigen eingeborenen Gang. Und wie kann Halsentzündung
Folge des Schrekkens sein? Ein wenig undeutlich ist das. War ein Arzt bei
Dir? Sag, Felice, warst Du nicht widerstandsfähiger, ehe Du mich kanntest?
Bin ich nicht mehr schuld als alle Wellen? Und hätte ich Dich auch
nur halb so viel gequält in diesem Jahr wie mich, der wirklich nicht
gerade zu meinem, aber zu Deinem künftigen Schrecken immer mehr weißes
Haar bekommt. Einmal schriebst Du, dass Du Angst hattest vor einem
kahlköpfigen Bewerber, und jetzt bietet Dir ein fast Weißhaariger
den Ehemannsarm an.
Bei Deinem heutigen Brief fällt mir ein, dass wir zumindest in
einer Hinsicht ganz gegensätzlich sind. Dich freut, Du benötigst
die mündliche Aussprache, der unmittelbare Verkehr tut Dir wohl, Schreiben
beirrt Dich, es ist Dir bloß ein unvollkommener Ersatz und meistens
nicht einmal ein Ersatz, auf viele Briefe hast Du mir nicht eigentlich
geantwortet, und zwar, wie es bei Deiner Güte und Bereitwilligkeit
zweifellos ist, nur aus dem Grunde, weil Dir das Schreiben widerstrebte,
so gern Du Dich z.B. mündlich zu diesem oder jenem geäußert
hättest.
Bei mir ist ganz das Gegenteil der Fall. Mir widerstrebt das Reden ganz
und gar. Was ich auch sage ist falsch in meinem Sinn. Die Rede nimmt allem,
was ich sage, für mich den Ernst und die Wichtigkeit. Es scheint mir
gar nicht anders möglich, da auf die Rede unaufhörlich tausend
Äußerlichkeiten und tausend äußerliche Nötigungen
wirken. Ich bin deshalb schweigsam, nicht nur aus Not, sondern auch aus
Überzeugung. Nur das Schreiben ist die mir entsprechende Form [der]
Äußerung, und sie wird es bleiben, auch wenn wir beisammen sind.
Wird Dir aber, die Du von Deiner Natur auf das Sprechen und Zuhören
angewiesen bist, das, was mir zu schreiben gegönnt sein wird, als
meine wesentliche, einzige (zwar vielleicht nur an Dich gerichtete) Mitteilung
genügen?
Franz
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at