Voriger Eintrag Jahresübersicht | IndexseiteNächster Eintrag

 

An Felice Bauer

10. [Juli] 13
 


Wäre ich doch bei Dir, Felice, und wäre mir die Fähigkeit gegeben, Dir alles klar zu machen, ja, wäre mir nur die Fähigkeit gegeben, alles ganz klar zu sehen. Ich bin schuld an allem. So vereinigt wie jetzt waren wir doch noch nicht, dieses Ja von beiden Seiten hat eine entsetzliche Macht. Aber was mich hält, ist förmlich ein Befehl des Himmels, eine nicht zu beschwichtigende Angst, alles, was mir früher das Wichtigste schien, meine Gesundheit, mein kleines Einkommen, mein jämmerliches Wesen, alles dieses, das auch eine gewisse Berechtigung hat, verschwindet neben dieser Angst, ist gar nichts vor ihr, und scheint von ihr nur vorgeschoben zu sein. Es ist, um ganz offen zu sein (wie ich es vor Dir immer war nach dem Grad der Selbsterkenntnis des Augenblicks) und um von Dir schließlich als Irrsinniger erkannt zu werden, die Angst vor der Verbindung selbst mit dem geliebtesten Menschen, und gerade mit ihm. Wie soll ich Dir das erklären, was mir so klar ist, dass ich es verdecken möchte, denn es blendet mich! Und dann ist es natürlich wieder unklar, wenn ich Deinen lieben vertrauensvollen Brief lese, alles scheint in bester Ordnung und das Glück scheint uns beide zu erwarten.

Verstehst Du das, Felice, wenn auch nur aus der Ferne? Ich habe das bestimmte Gefühl, durch die Ehe, durch die Verbindung, durch die auflösung dieses Nichtigen, das ich bin, zugrundezugehn und nicht allein, sondern mit meiner Frau und je mehr ich sie liebe, desto schneller und schrecklicher. Nun sag selbst, was sollen wir tun, denn so nah sind wir einander, dass, glaube ich, keiner von uns noch allein etwas tun kann, ohne die Bestätigung des andern. Überlege auch das Nichtgesagte! Frage, ich beantworte alles. Gott, es ist wirklich allerhöchste Zeit, diese Spannung zu lösen und gewiß ist niemals ein Mädchen von einem, der sie liebte, wie ich Dich, so gemartert worden, wie ich Dich martern muß.

Franz




die Angst vor der Verbindung: Vgl. Tagebücher (Juli 1913), S. 311: "Die Angst vor der Verbindung, dem Hinüberfließen. Dann bin ich nie mehr allein." (In der "Zusammenstellung alles dessen, was für und gegen meine Heirat spricht".)


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at