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An Felice Bauer

6. VII I3 [5.Juli 1913]
 


Du, jetzt ist aber Eile nötig, wenn der Brief noch morgen kommen soll. Es ist Samstag ¼7 Uhr.

Ich hatte keinen Brief heute, also keine Antwort auf meinen gestrigen Brief. Hast Du ihn anders aufgefaßt, als ich es wollte? Hab ich Deiner Meinung nach nicht recht getan, als ich der Mutter die Erlaubnis gab? Habe ich nicht recht getan, als ich es Dir schrieb? Ich habe meiner Mutter nachgegeben aus Schuldbewußtsein, wie ich schon sagte, ferner aus allgemeiner und gegenüber meiner Mutter besonders starken dialektischen Unfähigkeit, aus Schwäche dann und vor allem. Daß ich ihre große Sorge um mich sah, war mit ein Beweggrund, wenn auch bei weitem nicht der entscheidende. dass ich es Dir aber schreiben mußte, wenn ich es schon getan hatte, das schien mir selbstverständlich, denn wir wollen doch - und werden im Zusammenleben immer viel Gelegenheit dazu haben - bis zur äußersten Grenze, soweit also als unsere Gemeinschaft geht, offen zueinander sein, sollte ich gleich jetzt diese Kleinigkeit verschweigen? Und eine Kleinigkeit ist es in diesem Sinn. Nicht ich frage nach Deiner Familie, Deine Familie ist und wird mir - so fürchte ich für Dich und sagte es auch schon - immer ferner sein, als Du es vielleicht wollen wirst, wie könnte mich also Deine Familie jetzt im Innersten bekümmern? Und nur um Innerstes kann es sich handeln, wenn wir zusammen leben wollen. Die Richtung und das Urteil dafür muß jeder von uns in sich finden. Meine Eltern sind, wie auch Deine, auf das Äußerliche angewiesen, denn sie stehen im Grunde außerhalb unserer Angelegenheit. Sie wissen nichts als was sie durch das Bureau erfahren, wir wissen mehr oder glauben mehr zu wissen und jedenfalls wissen wir anderes und wichtigeres - auf uns bezieht sich also das Bureau gar nicht, es ist also eine Angelegenheit unserer Eltern, die man ihnen zum Spiel, um sie zu beschäftigen, gönnen kann. Uns berührt es nicht, so glaubte ich wenigstens, aber nun bekam ich keine Antwort.

Gestern abend zog ich in der Gegend herum, wo wir meinen Träumen nach zusammen wohnen sollten. Es wird schon gebaut, aber auf einem Teil des Geländes wohnen noch Zigeuner. Ich ging dort lange herum und begutachtete alles. Es wird dort schön werden, es ist ziemlich hoch, weit vor der Stadt und gestern nach dem Regen war die Luft besonders rein. Mir war dort gestern auch sehr wohl, ganz anders als jetzt. So spielt es mit mir unaufhörlich.

Franz


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at