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An Felice Bauer

3.VII. 13 Kafkas 30. Geburtstag]
 


Ich habe Dir, Felice, alles geschrieben, was sich mir im Augenblicke des Schreibens aufdrängte. Alles ist es nicht, aber es läßt, wenn man aufmerkt, fast alles ahnen. Trotzdem wagst Du es, entweder bist Du unsinnig kühn oder in ahnungsvollerer Verbindung mit dem, was uns beherrscht. Daß Du mir glaubst, daran zweifle ich nicht mehr, trotzdem Du mir ein wenig auch in dem heutigen Brief ausweichst (durch das Schreiben hält man sich eben, ohne roh zu werden, nicht genug fest). Ich zweifle nicht daran, dass Du mir glaubst, denn dann wärest Du ja nicht die, die ich liebe, und ich müßte an allem zweifeln. Nein wir halten uns also von nun ab fest und legen die Hände ordentlich ineinander. Denkst Du noch an meine lange, knochige Hand mit den Fingern eines Kindes und eines Affen? Und in die legst Du nun Deine.

Ich sage nicht, dass ich glücklich bin, ich habe zu viel Unruhe und Sorgen, bin vielleicht überhaupt nicht menschlichen Glückes fähig und das Ereignis, dass (jetzt kam Dein Telegramm, ich starre es an, als wäre es ein Gesicht, das einzige, das ich unter allen Menschen kenne und will) dass ich mit Dir, der ich mich vom ersten Abend an verbunden fühlte, ganz und gar verbunden sein soll, ist mir wirklich unübersehbar, und ich wollte davor gerne an Deiner Brust die Augen schließen.

Du hast mich so beschenkt. Die Kraft, mit der ich es 30 Jahre lang ausgehalten habe, verdient die Geschenke, aber das Ergebnis dieser Kräfte, das Dasein, verdient es wirklich nicht, das wirst Du merken, Felice. Es müßte dein sein, dass heute großer Geburtstag ist und dass sich das Leben heute, ohne das Gewonnene zu verlieren, ein besonderes Stück um seine Achse dreht.

Ich habe heute meiner Mutter beim Mittagessen (ganz kurz, sie ist immer nur kurze Zeit zuhause und ist mit dem Essen immer schon fertig, wenn ich komme; der Vater ist seit heute früh auf dem Lande) als Antwort auf ihre Geburtstagswünsche gesagt, dass ich eine Braut habe. Sie war nicht sehr überrascht und nahm es merkwürdig ruhig hin. Sie hatte kein Bedenken, nur eine Bitte und sagte, der Vater sei gewiß sowohl in dem erstem als auch in dem letztern mit ihr einig. Die Bitte war, ich möchte ihr erlauben, Erkundigungen über Deine Familie einzuziehn; bis die Nachricht kommt, bleibe mir ja noch immer die Freiheit, nach meinem Willen zu handeln, sie würden mich darin nicht hindern und nicht hindern können, aber jedenfalls solle ich mit dem Brief an Deine Eltern bis dahin warten. Ich sagte darauf, wir seien ja schon verbunden, jedenfalls sei der Brief an die Eltern eigentlich kein weiterer Schritt. Die Mutter bestand auf ihrer Bitte. Ich weiß nicht genau warum, vielleicht aus meinem ständigen Schuldbewußtsein gegenüber meinen Eltern gab ich nach und schrieb der Mutter den Namen Deines Vaters auf. Es kam mir ein wenig lächerlich vor, wenn ich daran dachte, dass Deine Eltern, wenn sie ähnliche Wünsche haben sollten, nur gute Auskunft über uns bekämen und dass kein Auskunftsbureau imstande wäre, die Wahrheit über mich zu sagen. Kennt Dein Vater übrigens das "Urteil" ?Wenn nicht, dann gib es ihm bitte zu lesen.

Wenn ich daran denke, was für Mut Du hast! Bin ich denn nicht ein fremder Mensch, machen mich meine Briefe nicht noch fremder? Sind meine Verwandten Dir nicht fremd, auf der Ansichtskarte sind meine Eltern, sehn sie nicht unfaßbar, wie alle fremden Menschen aus, nur dass die Fremdheit vielleicht durch das uns gemeinsame Judentum gemildert ist? Und Du fürchtest Dich also (ich glaube, dieses Staunen werde ich niemals los werden) vor diesem Menschen nicht, der dadurch, dass er selbst sich vor allem fürchtet, noch schrecklicher wird? Hast Du um nichts Angst? Gibst Du Dich bedenkenlos? Das ist ein Wunder, darüber ist unter Menschen nichts zu sagen, dafür maß man nur Gott danken.

Franz


Übrigens, Felice, wir sind knapp dem ersten Streit ausgewichen. Dorthin, wohin kein Mensch kommen soll (das ist ernster gemeint, als gesagt), hast Du jemanden eingeladen? Aber Frl. Brüht ist wirklich eine Ausnahme, sie darf eingeladen werden, aber sie ist die einzige. Ich habe sie gern, streichle ihr für mich die Wangen.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at