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An Felice Bauer
Kein Brief gestern, keiner heute. Diesmal verstehe ich es fast. Mein Schreiben
wird Dir unerträglich, so wie mein Reden und Nichtreden in Nikolassee.
Ich verliere auch ein wenig den Überblick, und es würde eine
für mich genügende Beschäftigung sein, auf das Klopfen und
Schmerzen in meinen Schläfen achtzugeben, für alles andere bin
ich untauglich. Im Bureau war es noch ärger als gestern.
Gestern nachmittag, gegen Abend nach 6 Uhr saß ich auf dem Kanapee
und schaute so leer im Zimmer herum. Meine Schwester war aus dem Geschäft
gekommen, sie öffnete die Tür und blieb dort stehn. Sie hat in
den letzten Tagen irgendwie Mitleid mit mir, auch wußte sie, dass
ich fast nichts esse und wollte wissen, ob ich diesmal nachtmahlen werde.
Ich aber hatte keine Lust zu sprechen, sah nur nach ihr hin und sie sah
mich an, das dauerte ein Weilchen. Ich dachte bloß daran, wie es
wäre, wenn statt meiner Schwester meine Frau dort in der Türe
stünde und diesen Anblick hätte und ihn ertragen müßte.
Heute mittag sagte meine Mutter: "Du hast gewiß Sorgen. Ich
will mich nicht in Deine Geheimnisse drängen, aber ich möchte
so gern, dass Du zufrieden bist u.s.w." Und dann an ganz unangebrachter
Stelle: "Du weißt gar nicht, wie lieb Dich der Vater hat u.s.w."Ich
sagte, mehr kann ich nicht sagen: "Aber ich habe keine Sorgen, nur
Unannehmlichkeiten im Bureau." Damit waren wir fertig, aber ich weiß,
dass sie mit meiner Schwester, so oft es nur geht, über Dich
und mich zu sprechen anfängt. Ihre Hilflosigkeit mir gegenüber
ist nicht viel kleiner als meine eigene.
Aber ich höre auf, ich will Dir den Sonntag nicht durch mehr Schreiben
noch verderben, wie es. unausbleiblich wäre. Es fällt mir nur
Trauriges ein. Ich möchte es gern damit erklären, dass ich
heute keinen Brief von Dir habe, aber es ist nicht nur das. Sei wenigstens,
Felice, zu diesem Papier (wie sich mir das F in die Feder drängte)
freundlich, streichle es doch einmal, ich will mich in dem Gedanken daran
wohlfühlen.
Franz
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at