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An Felice Bauer

28. VI. 13
 


Kein Brief gestern, keiner heute. Diesmal verstehe ich es fast. Mein Schreiben wird Dir unerträglich, so wie mein Reden und Nichtreden in Nikolassee. Ich verliere auch ein wenig den Überblick, und es würde eine für mich genügende Beschäftigung sein, auf das Klopfen und Schmerzen in meinen Schläfen achtzugeben, für alles andere bin ich untauglich. Im Bureau war es noch ärger als gestern.

Gestern nachmittag, gegen Abend nach 6 Uhr saß ich auf dem Kanapee und schaute so leer im Zimmer herum. Meine Schwester war aus dem Geschäft gekommen, sie öffnete die Tür und blieb dort stehn. Sie hat in den letzten Tagen irgendwie Mitleid mit mir, auch wußte sie, dass ich fast nichts esse und wollte wissen, ob ich diesmal nachtmahlen werde. Ich aber hatte keine Lust zu sprechen, sah nur nach ihr hin und sie sah mich an, das dauerte ein Weilchen. Ich dachte bloß daran, wie es wäre, wenn statt meiner Schwester meine Frau dort in der Türe stünde und diesen Anblick hätte und ihn ertragen müßte.

Heute mittag sagte meine Mutter: "Du hast gewiß Sorgen. Ich will mich nicht in Deine Geheimnisse drängen, aber ich möchte so gern, dass Du zufrieden bist u.s.w." Und dann an ganz unangebrachter Stelle: "Du weißt gar nicht, wie lieb Dich der Vater hat u.s.w."Ich sagte, mehr kann ich nicht sagen: "Aber ich habe keine Sorgen, nur Unannehmlichkeiten im Bureau." Damit waren wir fertig, aber ich weiß, dass sie mit meiner Schwester, so oft es nur geht, über Dich und mich zu sprechen anfängt. Ihre Hilflosigkeit mir gegenüber ist nicht viel kleiner als meine eigene.

Aber ich höre auf, ich will Dir den Sonntag nicht durch mehr Schreiben noch verderben, wie es. unausbleiblich wäre. Es fällt mir nur Trauriges ein. Ich möchte es gern damit erklären, dass ich heute keinen Brief von Dir habe, aber es ist nicht nur das. Sei wenigstens, Felice, zu diesem Papier (wie sich mir das F in die Feder drängte) freundlich, streichle es doch einmal, ich will mich in dem Gedanken daran wohlfühlen.

Franz


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at