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An Felice Bauer
Liebste Felice, Du hast doch meinen schweren Brief? Ich war sehr urvorsichtig
mit ihm. Ich ging abend ziemlich spät aus dem Geschäft (meine
Eltern kommen erst nächste Woche, Ottla ist schon längst gesund,
das Essen ist so wie immer und mir ebenso gleichgültig), und da ich
nun doch den Brief noch aufgeben wollte, mußte ich zur Bahn gehn.
Aber ich wurde von einem Bekannten aufgehalten (er sah den Brief in meiner
Hand, fragte, was es sei, und ich sagte zum Spaß und er nahen es
auch als solchen, es sei ein Heiratsantrag; Unglaublicheres kann man wirklich
nicht sagen), und nun mußte ich, sollte der Brief noch mitgenommen
werden, auf den Bahnsteig gehn. Als ich aber bei einem Automaten die Karte
lösen wollte, fiel das Geldstück heraus, denn der Automat war
schon leer. Ich wollte gerade zu einem andern gehn, da kam aus dem dunklen,
leeren Wartesaal erster Klasse irgendein Mann heraus, ein alter Mann mit
weißem Schnauzbart, vielleicht ein Eisenbahn[an]gestellter aber es
muß nicht so sein, ich sah ihn kaum an und könnte ihn auch nicht
wiedererkennen, und bot sich an, den Brief einzuwerfen, nahm ihn und das
Geldstück, fast ohne meine Zustimmung abzuwarten, in meiner Befangenheit,
meinem häufigsten Zustand, ließ ich ihm alles, sagte noch im
Halbschlaf: "Ich kann mich doch auf Sie verlassen?", und Mann
und Brief war fort.
Ich war heute so glücklich mit Deinem Brief und Deiner Karte (in die
Wohnung kommt alles verspätet, die Karte erhielt ich erst heute mittag).
Ich bin also ein unpünktlicher Briefschreiber geworden, meinst Du?
Aber doch nicht auf eigene Faust? Nein, das nicht, Dir gegenüber nicht.
Aber vielleicht meinst Du, dass es überhaupt bessere Verständigungsmittel
gibt als Briefe. Nun dann hast Du recht, wenn auch nicht unbedingt. Was
bedeutete es aber letzthin als Du sagtest, meine Briefe wären auch
anders geworden? Worin denn? Das will ich wissen. Es müßte denn
sein, Du meinst die Zeit, als ich für mich geschrieben habe und ein
anderer Mensch war.
Deine Ferienpläne verstehe ich nicht ganz. Mußt Du unbedingt
im August fahren? Ich kann nur im September. Und warum kosten die kleinen
Reisen, die Du beabsichtigst, so viel Geld? Kannst Du nicht billig reisen?
Du hast mich manchmal erschreckt. Wie Duz. B. in Prag teuer gewohnt hast!
Was für eine ungeheuere Summe Du für Palästina zu brauchen
vorgabst! Kannst Du z. B. nicht III. Klasse fahren? Ich wieder kann gar
nicht anders fahren. Reisen sind doch so billig, wie könnte es anders
sein, da sie auch genau so notwendig sind. Und darum rate ich Dir, an den
Gardasee zu fahren und würde Dir dort erklären, warum.
Franz
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at