Voriger Eintrag Jahresübersicht | IndexseiteNächster Eintrag

 

An Felice Bauer

17.VI.I3
 


Liebste Felice, Du hast doch meinen schweren Brief? Ich war sehr urvorsichtig mit ihm. Ich ging abend ziemlich spät aus dem Geschäft (meine Eltern kommen erst nächste Woche, Ottla ist schon längst gesund, das Essen ist so wie immer und mir ebenso gleichgültig), und da ich nun doch den Brief noch aufgeben wollte, mußte ich zur Bahn gehn. Aber ich wurde von einem Bekannten aufgehalten (er sah den Brief in meiner Hand, fragte, was es sei, und ich sagte zum Spaß und er nahen es auch als solchen, es sei ein Heiratsantrag; Unglaublicheres kann man wirklich nicht sagen), und nun mußte ich, sollte der Brief noch mitgenommen werden, auf den Bahnsteig gehn. Als ich aber bei einem Automaten die Karte lösen wollte, fiel das Geldstück heraus, denn der Automat war schon leer. Ich wollte gerade zu einem andern gehn, da kam aus dem dunklen, leeren Wartesaal erster Klasse irgendein Mann heraus, ein alter Mann mit weißem Schnauzbart, vielleicht ein Eisenbahn[an]gestellter aber es muß nicht so sein, ich sah ihn kaum an und könnte ihn auch nicht wiedererkennen, und bot sich an, den Brief einzuwerfen, nahm ihn und das Geldstück, fast ohne meine Zustimmung abzuwarten, in meiner Befangenheit, meinem häufigsten Zustand, ließ ich ihm alles, sagte noch im Halbschlaf: "Ich kann mich doch auf Sie verlassen?", und Mann und Brief war fort.

Ich war heute so glücklich mit Deinem Brief und Deiner Karte (in die Wohnung kommt alles verspätet, die Karte erhielt ich erst heute mittag). Ich bin also ein unpünktlicher Briefschreiber geworden, meinst Du? Aber doch nicht auf eigene Faust? Nein, das nicht, Dir gegenüber nicht. Aber vielleicht meinst Du, dass es überhaupt bessere Verständigungsmittel gibt als Briefe. Nun dann hast Du recht, wenn auch nicht unbedingt. Was bedeutete es aber letzthin als Du sagtest, meine Briefe wären auch anders geworden? Worin denn? Das will ich wissen. Es müßte denn sein, Du meinst die Zeit, als ich für mich geschrieben habe und ein anderer Mensch war.

Deine Ferienpläne verstehe ich nicht ganz. Mußt Du unbedingt im August fahren? Ich kann nur im September. Und warum kosten die kleinen Reisen, die Du beabsichtigst, so viel Geld? Kannst Du nicht billig reisen? Du hast mich manchmal erschreckt. Wie Duz. B. in Prag teuer gewohnt hast! Was für eine ungeheuere Summe Du für Palästina zu brauchen vorgabst! Kannst Du z. B. nicht III. Klasse fahren? Ich wieder kann gar nicht anders fahren. Reisen sind doch so billig, wie könnte es anders sein, da sie auch genau so notwendig sind. Und darum rate ich Dir, an den Gardasee zu fahren und würde Dir dort erklären, warum.

Franz


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at