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An Felice Bauer

[15. Juni 1913
 


Liebe Felice, es wird mir heute schwer, zu schreiben, nicht etwa weil schon spät ist, aber der Brief, der morgen - wird er wirklich kommen? - kommen wird, ist Dir abgezwungen, ich habe ihn Dir mit dem Telegramm abgezwungen. Dein guter Geist hat Dich vom Schreiben abgehalten, auch während des langen Sonntags, und ich habe gegen Deinen guten Geist gekämpft. Ein schändlicher Sieg, wenn es wirklich einer ist. Was will ich denn nur von Dir? Was treibt mich hinter Dir her? Warum lasse ich nicht ab, folge keinem Zeichen? Unter dem Vorwand, Dich von mir befreien zu wollen, dränge ich mich an Dich. Wo ist eine Grenze oder ein Ausweg? Wenn ich einmal glauben muß, dass Du für mich verloren bist, tritt gleich die grobe perspektivische Täuschung ein und der vielleicht irgendwo bestehende, winzige, kaum zu sehende, nie zu treffende Ausweg nimmt dann traumhaft große, schöne Formen an und ich stürze Dir wieder nach und ohne Übergang stock ich schon wieder. Aber ich fühle nicht nur meine Plage, sondern die Plage, die ich Dir antue noch viel mehr.

Franz


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at