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An Felice Bauer

13. VI. 13
 


Vor Unentschlossenheit kann ich kaum die Hand zum Schreiben rühren. Schon wieder ein Stocken in Deinen Briefen, wie es ja nun schon seit Monaten ununterbrochen gewesen ist. Ebenso wie meine Briefe seit Monaten ein Bitten um Nachricht waren, als wärest Du ein ganz fremdes Wesen, das sich unmöglich in die Leiden eines, der auf eine Nachricht wartet, hineindenken kann. Und dieses Stocken war immer auf Deiner Seite, wenn auch vielleicht nicht durch Deine Schuld. Und jetzt wieder. Bist Du vielleicht krank, wie Du es schon angedeutet hast? Ich könnte auch das nicht mehr richtig erfassen. Ich denke daran, wie ich einmal in der ersten Zeit nachhause telegraphierte "Sind sie krank?" und damit nur eine Dummheit angestellt hatte. Und wie ich letzthin 2 Stunden auf die Herstellung der telephonischen Verbindung wartete und inzwischen in dem elenden Wartezimmer eines elenden Postamtes mir einen Brief ausdachte, in welchem ich Deine Mutter rühren und ihr eine Nachricht über Deinen Zustand abzwingen wollte - und ich dann endlich Deine gesunde, helle Stimme zu hören bekam und Du mich harmlos fragtest: "Wie geht es Dir?" Seit heute früh denke ich daran, an Fräulein Brühl zu telegraphieren und werde es doch vielleicht nicht tun.

Bitte, bitte, Felice, wenn Du gesund bist, schreib mir doch ein Wort. Freilich wenn Du krank bist - es ist ja schließlich möglich, meinem Ahnungsvermögen traue ich längst nicht mehr -, dann, ja ich weiß nicht, was dann, dann bleibt mir hier nur die Angst und der Schrekken, denn wie sollte ich mit meinen Wünschen etwas ausrichten können, da ich es mit meinen Handlungen nicht kann. Aber eine Nachricht könnte ich doch auch dann vielleicht bekommen, vielleicht durch Deine Schwester. Aber zu wem rede ich? Vielleicht bekommst Du den Brief gar nicht und ich könnte ihn ebensogut auf meinem Tisch liegen lassen.

Franz


Das war der für Dich vorbereitete Sonntagsbrief. Ich konnte ihr? nicht schöner machen. Nun habe ich ins Bett den Eilbrief bekommen, der am Mittwoch geschrieben und Freitag abend eingeworfen wurde. Ich bin fast zufrieden, ich vergesse alles Schlimme zu leicht.

Am auffallendsten war mir die Geschichte vom Stoffsammeln und vom Gelegenheitsdichter. Einerseits ist es entsetzlich, andererseits ist es aber merkwürdigerweise bei einem ganz fremden Volk. Was für Sitten!


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at