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An Felice Bauer
Vor Unentschlossenheit kann ich kaum die Hand zum Schreiben rühren.
Schon wieder ein Stocken in Deinen Briefen, wie es ja nun schon seit Monaten
ununterbrochen gewesen ist. Ebenso wie meine Briefe seit Monaten ein Bitten
um Nachricht waren, als wärest Du ein ganz fremdes Wesen, das sich
unmöglich in die Leiden eines, der auf eine Nachricht wartet, hineindenken
kann. Und dieses Stocken war immer auf Deiner Seite, wenn auch vielleicht
nicht durch Deine Schuld. Und jetzt wieder. Bist Du vielleicht krank, wie
Du es schon angedeutet hast? Ich könnte auch das nicht mehr richtig
erfassen. Ich denke daran, wie ich einmal in der ersten Zeit nachhause
telegraphierte "Sind sie krank?" und damit nur eine Dummheit
angestellt hatte. Und wie ich letzthin 2 Stunden auf die Herstellung der
telephonischen Verbindung wartete und inzwischen in dem elenden Wartezimmer
eines elenden Postamtes mir einen Brief ausdachte, in welchem ich Deine
Mutter rühren und ihr eine Nachricht über Deinen Zustand abzwingen
wollte - und ich dann endlich Deine gesunde, helle Stimme zu hören
bekam und Du mich harmlos fragtest: "Wie geht es Dir?" Seit
heute früh denke ich daran, an Fräulein Brühl zu telegraphieren
und werde es doch vielleicht nicht tun.
Bitte, bitte, Felice, wenn Du gesund bist, schreib mir doch ein Wort. Freilich
wenn Du krank bist - es ist ja schließlich möglich, meinem Ahnungsvermögen
traue ich längst nicht mehr -, dann, ja ich weiß nicht, was
dann, dann bleibt mir hier nur die Angst und der Schrekken, denn wie sollte
ich mit meinen Wünschen etwas ausrichten können, da ich es mit
meinen Handlungen nicht kann. Aber eine Nachricht könnte ich doch
auch dann vielleicht bekommen, vielleicht durch Deine Schwester. Aber zu
wem rede ich? Vielleicht bekommst Du den Brief gar nicht und ich könnte
ihn ebensogut auf meinem Tisch liegen lassen.
Franz
Das war der für Dich vorbereitete Sonntagsbrief. Ich konnte ihr? nicht
schöner machen. Nun habe ich ins Bett den Eilbrief bekommen, der am
Mittwoch geschrieben und Freitag abend eingeworfen wurde. Ich bin fast
zufrieden, ich vergesse alles Schlimme zu leicht.
Am auffallendsten war mir die Geschichte vom Stoffsammeln und vom Gelegenheitsdichter.
Einerseits ist es entsetzlich, andererseits ist es aber merkwürdigerweise
bei einem ganz fremden Volk. Was für Sitten!
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at