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An Felice Bauer

10. VI. 13
 


Krank bist Du und läufst mit der Krankheit herum? Gingest Du lieber nicht zum Arzte, sondern bliebest zuhause und ruhtest Dich aus. Du, ich wollte Dich pflegen.

Wir brauchen übrigens beide Ruhe; was wäre natürlicher, als dass wir beide, die das gleiche Bedürfnis haben, nach dem gleichen Orte fahren?

Ob ich Dich lieb habe, mußt Du nicht fragen. Manchmal ist mir, als wäre alles, alles menschenleer und Du säßest allein auf den Ruinen von Berlin.

Dein Brief vom Freitag ist natürlich noch nicht beantwortet, vielmehr bereite ich eine Abhandlung zu seiner Beantwortung vor, die aber noch nicht fertig ist. Nicht eigentlich aus Zeitmangel, sondern aus Schwäche und Unsicherheit des Kopfes, der den Gehorsam längst versagt.

Durch irgendeinen Zufall liegt die Notiz über Löwy vor mir, hier ist sie. Der Vortrag ist ziemlich schlecht ausgefallen, immerhin hat der Löwy wieder etwas Geld, zu helfen ist ihm ja vorläufig nicht. Gerne möchte ich Dich zuhören lassen, wenn er erzählt. Das kann er besser als alles Vorlesen, Recitieren und Singen, da schlägt sein Feuer wirklich zu einem herüber.

Das "Urteil" ist nicht zu erklären. Vielleicht zeige ich Dir einmal paar Tagebuchstellen darüber. Die Geschichte steckt voll Abstraktionen, ohne dass sie zugestanden werden. Der Freund ist kaum eine wirkliche Person, er ist vielleicht eher das, was dem Vater und Georg gemeinsam ist. Die Geschichte ist vielleicht ein Rundgang um Vater und Sohn, und die wechselnde Gestalt des Freundes ist vielleicht der perspektivische Wechsel der Beziehungen zwischen Vater und Sohn. Sicher bin ich dessen aber auch nicht.

Heute schicke ich Dir den "Heizer". Nimm den kleinen Jungen freundlich auf, setze ihn neben Dich nieder und lob' ihn, wie er es sich wünscht.

Morgen erwarte ich genauen Bericht über die Dummheiten, die der Arzt gesagt hat. Wer ist es übrigens? Ist es Euer Hausarzt ? Wie heißt er?

Du, aber hindern will ich Dich durch diesen Brief nicht, nach Prag zu kommen. Komme nur, komm! Du wirst ja so erwartet.

Franz




die Notiz: Wahrscheinlich die bereits genannte Notiz im Prager Tagblatt vom 1. Juni; eine andere ist jedenfalls nicht erhalten. Siehe Anhang S. 763.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at