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An Felice Bauer
Wer kann wissen, ob ich morgen einen Brief habe und wie Du, liebste, liebste
Felice, die Narrheit aufgenommen hast, die ich in diesen zwei Tagen in
Berlin für Dich dargestellt haben muß. Du weißt ja, Felice,
nicht, Du weißt ja nicht, was mich bindet und mich zum unglücklichsten
Menschen macht, trotzdem ich Dir so nahe zu sein scheine, meinem einzigen
Ziel auf der Erde. Ach Gott, ich wollte, dass Du nicht auf der Welt
wärest, sondern ganz in mir, oder noch besser, dass ich nicht
auf der Welt wäre und ganz in Dir, einer von uns ist zu viel hier
meinem Gefühl nach, die Trennung in zwei Menschen ist unerträglich.
Nun, Felice, warum nehme ich Dich nicht gleich an mich, wenigstens so nahe,
als es im Raume möglich ist, warum krümme ich mich statt dessen
auf dem Waldboden wie die Tiere, vor denen Du Dich fürchtest. Es wird
doch nicht grundlos sein, wie? Aber andererseits bin ich doch auch kein
verzauberter Prinz, wenn auch verzauberte Prinzen in solche Scheußlichkeiten
verborgen zu werden pflegen, es wäre schon gut und wunderbar, wenn
ich bloß ein verzauberter erträglicher Mensch wäre. Du
wärst zufrieden, nicht?
Aber wenn ich nun auf meiner Seite mit solchen kaum in menschliche Worte
zu übersetzenden Dingen zu kämpfen habe - und seit Wochen gibt
es kein Restehen meiner Kraft, das ich für anderes verwendete - was
soll ich dann tun, wenn ich mich Deiner nicht sicher fühle, wenn Du
mich beirrst? Es ist ja so schrecklich leicht begreiflich, wenn Du es seufzend
aufgibst, ich an Deiner Stelle wäre an das andere Ende der Welt gelaufen,
aber Du bist doch nicht ich, Dein Wesen ist Handeln, Du bist tätig,
denkst rasch, bemerkst alles, ich habe Dich zuhause gesehn (wie Du da einmal
bei einer Bemerkung den Kopf gehoben hast!), ich habe Dich unter fremden
Leuten in Prag gesehn, immer warst Du anteilnehmend und doch sicher - mir
aber gegenüber erschlaffst Du, siehst weg oder ins Gras, läßt
meine dummen Worte und mein viel begründeteres Schweigen über
Dich ergehn, willst nichts ernstlich von mir erfahren, leidest, leidest,
leidest nur - Felice, wie ist mir dann, wenn ich mich von Dir verabschiedet
habe? Glaubst Du, ich fühle nicht mit Dir? Glaubst Du, es liegt mir
dann etwas an meinem Leben?
Als Max damals in Berlin war und telephonisch mit Dir gesprochen
hat, sollst Du ja, was ich mir so gut vorstellen kann, sehr lustig
und zuversichtlich gewesen sein, viel gelacht haben, unter anderem sollst
Du aber gesagt haben: "Ich weiß nicht, wieso das kommt, er
schreibt mir ziemlich viel, aber es kommt in den Briefen zu keinem Sinn,
ich weiß nicht, um was es sich handelt, wir sind einander nicht nähergekommen
und es ist keine Aussicht, vorläufig." Dabei war es aber gerade
die Anfangszeit und in dieser Zeit kommt man sich doch mit Riesenschritten
näher, weil das doch noch die großen, offenbaren, jedem zugänglichen
Entfernungen zwischen Mensch und Mensch sind. Trotzdem hast Du schon damals
so gedacht, während ich mich damals im geheimen grenzenlos freute,
diesem angebeteten Menschen mit ein paar Sprüngen so nahegekommen
zu sein. Solltest Du noch heute so denken, wie Du damals gesprochen hast?
Dein Blick, Deine Worte, Dein Schweigen will es beweisen, fast alles andere
widerspricht dem aber. Das erstere ist aber deutlicher; wie finde ich mich
zurecht, darf ich bei dieser Resignation auch nur Deine Fingerspitzen anrühren?
Dein (wäre ich doch namenlos, ganz ausgelöscht und nur Dein)
mit Dir gesprochen hat: Vgl. Kafkas Brief an Max
Brod vom 13. November 1912, Briefe, S. 111.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at