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An Felice Bauer

13. V. 13
 


Wer kann wissen, ob ich morgen einen Brief habe und wie Du, liebste, liebste Felice, die Narrheit aufgenommen hast, die ich in diesen zwei Tagen in Berlin für Dich dargestellt haben muß. Du weißt ja, Felice, nicht, Du weißt ja nicht, was mich bindet und mich zum unglücklichsten Menschen macht, trotzdem ich Dir so nahe zu sein scheine, meinem einzigen Ziel auf der Erde. Ach Gott, ich wollte, dass Du nicht auf der Welt wärest, sondern ganz in mir, oder noch besser, dass ich nicht auf der Welt wäre und ganz in Dir, einer von uns ist zu viel hier meinem Gefühl nach, die Trennung in zwei Menschen ist unerträglich. Nun, Felice, warum nehme ich Dich nicht gleich an mich, wenigstens so nahe, als es im Raume möglich ist, warum krümme ich mich statt dessen auf dem Waldboden wie die Tiere, vor denen Du Dich fürchtest. Es wird doch nicht grundlos sein, wie? Aber andererseits bin ich doch auch kein verzauberter Prinz, wenn auch verzauberte Prinzen in solche Scheußlichkeiten verborgen zu werden pflegen, es wäre schon gut und wunderbar, wenn ich bloß ein verzauberter erträglicher Mensch wäre. Du wärst zufrieden, nicht?

Aber wenn ich nun auf meiner Seite mit solchen kaum in menschliche Worte zu übersetzenden Dingen zu kämpfen habe - und seit Wochen gibt es kein Restehen meiner Kraft, das ich für anderes verwendete - was soll ich dann tun, wenn ich mich Deiner nicht sicher fühle, wenn Du mich beirrst? Es ist ja so schrecklich leicht begreiflich, wenn Du es seufzend aufgibst, ich an Deiner Stelle wäre an das andere Ende der Welt gelaufen, aber Du bist doch nicht ich, Dein Wesen ist Handeln, Du bist tätig, denkst rasch, bemerkst alles, ich habe Dich zuhause gesehn (wie Du da einmal bei einer Bemerkung den Kopf gehoben hast!), ich habe Dich unter fremden Leuten in Prag gesehn, immer warst Du anteilnehmend und doch sicher - mir aber gegenüber erschlaffst Du, siehst weg oder ins Gras, läßt meine dummen Worte und mein viel begründeteres Schweigen über Dich ergehn, willst nichts ernstlich von mir erfahren, leidest, leidest, leidest nur - Felice, wie ist mir dann, wenn ich mich von Dir verabschiedet habe? Glaubst Du, ich fühle nicht mit Dir? Glaubst Du, es liegt mir dann etwas an meinem Leben?

Als Max damals in Berlin war und telephonisch mit Dir gesprochen hat, sollst Du ja, was ich mir so gut vorstellen kann, sehr lustig und zuversichtlich gewesen sein, viel gelacht haben, unter anderem sollst Du aber gesagt haben: "Ich weiß nicht, wieso das kommt, er schreibt mir ziemlich viel, aber es kommt in den Briefen zu keinem Sinn, ich weiß nicht, um was es sich handelt, wir sind einander nicht nähergekommen und es ist keine Aussicht, vorläufig." Dabei war es aber gerade die Anfangszeit und in dieser Zeit kommt man sich doch mit Riesenschritten näher, weil das doch noch die großen, offenbaren, jedem zugänglichen Entfernungen zwischen Mensch und Mensch sind. Trotzdem hast Du schon damals so gedacht, während ich mich damals im geheimen grenzenlos freute, diesem angebeteten Menschen mit ein paar Sprüngen so nahegekommen zu sein. Solltest Du noch heute so denken, wie Du damals gesprochen hast? Dein Blick, Deine Worte, Dein Schweigen will es beweisen, fast alles andere widerspricht dem aber. Das erstere ist aber deutlicher; wie finde ich mich zurecht, darf ich bei dieser Resignation auch nur Deine Fingerspitzen anrühren?


Dein (wäre ich doch namenlos, ganz ausgelöscht und nur Dein)




mit Dir gesprochen hat: Vgl. Kafkas Brief an Max Brod vom 13. November 1912, Briefe, S. 111.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at