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An Felice Bauer

8. V. 13
 


Die Briefe an Dich, Felice, sollen mir nun schon in allem möglichen nützen, im Schreiben dieses Briefes z. B. soll mir mein Ärger darüber vergehn, dass ich jetzt meinen schönen Rasierspiegel zerbrochen habe.

Strafen wollte ich Dich, Felice, nicht, besonders da ich mir mit aller Phantasie nicht vorstellen kann, dass in meinem Nichtschreiben eine Strafe liegen kann, ich habe Dir ja noch nicht viele erfreuliche Briefe geschrieben und wenn ein nicht erfreulicher entfällt, dann ist es doch wirklich keine Strafe. Geschrieben habe ich Dir vielmehr deshalb nicht, weil ich gefunden habe, dass ein Teil der Unerträglichkeit des vergeblichen Wartens auf Deinen Brief darin liegt, dass, wenn ich Dir geschrieben habe und keine Antwort kommt, ein Bruch entstanden zu sein scheint, statt des Briefes kommt förmlich durch die Luft ein : "Genug! Genug! c, während wenn ich auch nicht schreibe, alles beim guten, alten, schönen Gleichgewicht bleibt und eben bloß trauriger Weise keine Nachricht kommt. Und weil ich jetzt so empfindlich und weibisch bin und die Spannungen um meinen Kopf nicht aufhören, als sei die Fassung zu klein, habe ich mich geschont und nicht geschrieben. Es war unrecht, und geholfen hat es auch nicht viel.

Warum ist denn in dem Geschäft immerfort so viel zu tun? Hat sich denn die Kundschaft in Leipzig und Frankfurt am Parlographen nicht schon gesättigt?

Als ich heute aus dem Bureau nachhause ging (mit einem ebenso netten als komischen Kollegen, er hatte den Überzieher nur umgeworfen und ich zog ihn an einem losen Ärmel im Laufschritt über den ganzen Graben) sah ich ein Mädchen, das ganz in einem Gespräch befangen aus einem offenen, freundlichen, frischen Gesicht lachte, und zwar mit so viel Ähnlichkeiten mit Deinem Lachen, dass ich es fast als einen Gruß von Dir hingenommen habe. Überhaupt gibt es so viel Ähnlichkeiten in der Welt und darin liegt etwas Beruhigendes, allerdings auch etwas Aufregendes, denn man sucht sie.

Felice, sieh mal, Du verwechselst unsere Familien! Bei Euch wird 66 gespielt, bei Lins ein ganz anderes Spiel: Franzefuß. Im übrigen steht es unter den geringsten Leiden, in der Endsumme dulden ja doch meine Eltern mehr von mir, als ich von ihnen, nur sind sie allerdings auch fähig, mehr auszuhalten.

Heute z. B. geht es mir wieder besonders elend; wenn ich in keiner bessern Form in Berlin einziehe, na -! Du mußt zugeben, dass ich es verstehe, mich verlockend zu machen.

Franz




den ganzen Graben: Der Graben (Na příopě, eine Hauptstraße Prags.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at