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An Felice Bauer
Du verkennst mich noch immer, Felice, selbst in dieser Kleinigkeit. Wie
könnte ich Dir denn böse sein, wenn Du mir so eine freundliche
Karte schickst. Nur diese kurzen Sätzchen, die ich besonders aus Frankfurt
bekam und die weder eine Mitteilung noch eine Erklärung und kaum einen
Gruß, sondern nur Eile, nur Eile enthielten und mit einem Seufzer
des Geplagtseins begonnen und mit einem Seufzer der Erleichterung beendet
schienen - schienen ! schienen! (ich muß Dir doch alles klagen, da
Du mein Liebstes bist, also auch über Dich klagen) - nur jene Briefehen
haben mich so aufgeregt.
Jetzt scheint Dich aber die Verlobung Deines Bruders - ich habe Dir gar
nicht gratuliert, aber vielleicht bist Du auf die Schwägerin eifersüchtig,
dann gibt es nichts zu gratulieren - sehr zu beschäftigen, und das
ist wegen der kurzen zwei Pfingstfeiertage sehr traurig. Was werden wir
an diesen zwei Tagen tun? Du mußt wissen, ich denke schon kaum mehr
an die 2 Tage als vielmehr an die grauenhafte folgende Zeit, wo ich Dich,
wenn nicht große Wunder geschehn, sehr lange nicht sehn werde, es
müßte denn sein, dass Du mit mir nach Italien fährst
oder wenigstens an den Gardasee oder gar nach Spanien zum Onkel.
Ich bitte Dich Felice, denke rasch und gut nach. Ich hätte eigentlich
nicht davon gesprochen, dass ich Deine Eltern besuchen will, denn
repräsentationsfähig sehe ich ebensowenig wie vor 2 Monaten aus
und bin es auch ebenso wenig, aber ich fürchtete mich mehr als vor
allem davor, wieder nur augenblicksweise mit Dir beisammen zu sein, in
Berlin zu sein und etwa 5 Stunden auf dem Kanapee zu liegen und den doch
immer unsichern Telephonanruf erwarten. Deinem Bruder würde ich übrigens
ein wenig bekannt vorkommen, hast Du ihm damals gesagt, wer ich bin oder
wie hast Du ihm sonst das Zusammentreffen erklärt? Übrigens ist
ja jetzt alles ein wenig besser, da Du nicht mehr so entlegen
wohnst. Trotzdem denk' nach, denk' nach! Mein Kopf will nicht.
Franz
Onkel: Kafkas Onkel Alfred Löwy in Madrid.
da Du nicht mehr so entlegen wohnst: Die neue Wohnung
der Familie Bauer war dem >Askanischen Hof<, wo Kafka in Berlin zu wohnen
pflegte, beträchtlich näher als die frühere.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at