Voriger Eintrag Jahresübersicht | IndexseiteNächster Eintrag

 

An Felice Bauer

26. IV. 13
 


Ich hätte keine Zeit, Dir zu schreiben, Felice? Nein, das nicht, auch ist mir körperlich nicht schlechter als sonst. Und mutwillig beunruhigen wollte ich Dich gewiß nicht und mutwillig darauf verzichten, Dir zu schreiben, auch nicht, und mutwillig darauf verzichten, von Dir Antworten zu bekommen, erst recht nicht. Aber höre mich bitte ruhig an-Zeit wollte ich Dir geben, Dir Dein Verhältnis zu mir klar zu machen, denn nach den Nachrichten, die ich von Dir seit Ostern habe (die ersten zwei Briefe vielleicht abgerechnet), mußte ich glauben (bitte, Felice, tritt doch für einen Augenblick an meine Seite und sieh alles an, so wie ich es sehen muß), dass ich nur noch auf eine künstliche Weise Dich bei mir halte, indem ich Brief auf Brief abgehen und so Dich nicht zur Besinnung kommen lasse und Dich dazu dränge, in der Eile alte Worte ohne den alten Sinn zu gebrauchen. Ich sage jetzt nichts Endgültiges, denn jeder neue Brief, den ich von Dir bekomme, beirrt mich von neuem selbst in der festesten Überzeugung, aber wenn es so wäre, dann wäre es wirklich das einzige gewesen, worin Du mich jemals enttäuscht hättest und überhaupt hättest enttäuschen können, denn Offenheit hätte ich selbst im Schlimmsten immer von Dir erwartet. Daß Du mich einmal verabschiedet hättest, darüber hätte ich nicht gestaunt, denn Du konntest mich nicht gleich erkennen, es war sogar unmöglich, ich näherte mich Dir förmlich von der Seite und es. dauerte ein Weilchen, ehe wir einander Gesicht zu Gesicht zudrehten. Nun kenne ich ja Deine endgiltige Entscheidung nicht, sondern glaube sie nur aus Deinen letzten Briefen ahnen zu können und ich begreife nur nicht, Felice, dass Du selbst nicht wissen solltest, wie es um Dich steht. Du darfst nicht glauben, dass sich das alles, was ich sage, darauf bezieht, dass Deine Briefe kurz und selten sind, Du hast mir auch früher hie und da kurze Briefe geschrieben und ich war mit ihnen glücklich und zufrieden. Die letzten Briefe aber sind anders. Meine Sachen sind Dir nicht mehr so wichtig und was noch viel ärger ist: es liegt Dir nichts mehr daran, mir von Dir zu schreiben. Was soll ich da? Ich konnte auf die letzten Briefe nicht mehr antworten und stellte mir Donnerstag vor, wie Du im Bureau vormittags aufatmend feststelltest, dass endlich kein Brief gekommen ist.

Franz


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at