Voriger Eintrag | Jahresübersicht | Indexseite | Nächster Eintrag |
An Felice Bauer
Ich muß bei meinen kartenspielenden Eltern schreiben, auch bin ich
ein wenig erschöpft vom Gewöhnlichen und Außergewöhnlichen
und doch, Felice, -sehr glücklich. "Es ist doch alles wie es
war", hat einen wunderbaren Klang, der bei weitem das Strenge, das
in "bitte keine unnütze Sorge" liegen kann, übertrifft.
Ich war am Ende meiner Kraft, dort bin ich zwar in der letzten Zeit fast
immer gewesen, aber nun hing ich schon fast vornüber. Ich mußte
mir sagen - aber warum will die Feder überfließen, ist wirklich
alles wie es war, Felice, wirklich alles, wirklich wie es war?
Eigentlich müßtest Du doch staunen, in meinen Briefen ist es
meine ewige Sorge, Dich von mir zu befreien, wenn es mir aber einmal gelungen
scheint, werde ich toll. Ich verstand nicht, warum mir von einer ganzen
Frankfurter Woche nur eine Karte zukommen sollte, verstand nicht, wie Du
so wenig Zeit haben solltest, besonders wenn ich mich daran erinnerte,
wie Du einmal früher über die Möglichkeit unseres Beisammenseins
in Frankfurt geschrieben hattest, von viel freier Zeit, Fahrten in den
Taunus usw. Trotzdem nahm ich das Nichtschreiben hin, es sollte so zu Ende
gehe, wie es mit mir zu Ende ging. Da wurde gestern, als ich bei Max war,
schon im Weggehn von irgendetwas flüchtig mit anderem vermischt gesprochen,
mich aber brachte es in irgendeinem gleichgültigen Zusammenhang auf
den Gedanken, Du könntest in Frankfurt, gerade in dieser Festhalle,
aus der Dein Telegramm datiert ist, mit irgendeinem alten oder auch neuen
Bekannten zusammengekommen sein, der Dich festhalte. Gewiß kommen
dort die Vertreter aller Firmen zusammen, repräsentative, gutangezogene,
kräftige, gesunde, lustige junge Leute, also Leute, gegenüber
denen ich mich, wenn man mich ihnen zum Vergleich gegenüberstellen
wollte, einfach niederstechen müßte. Was war natürlicher,
sagte ich mir, als dass Du an einem von ihnen Gefallen finden könntest,
besonders da Du damit die Bitte unzähliger meiner Briefe erfüllt
hättest, alles wäre aufgelöst gewesen, ich wäre dort
gewesen, wo ich sein müßte und scheinbar sein wollte, d. h.
hinausgeworfen aus Deiner Nähe, wie ich es verdiente, da ich Dich
nicht bei den Händen gehalten hatte, wie man die Geliebte hält,
sondern mich an Deine Füße geklammert und das Gehn Dir unmöglich
gemacht hatte. Warum war ich also nicht zufrieden, stand mit einem vor
Schlaflosigkeit förmlich eingetrockneten Kopfe auf und atmete zum
erstenmal frei, nachdem das Telegramm weggeschickt war?
Franz
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at