Voriger Eintrag Jahresübersicht | IndexseiteNächster Eintrag

 

An Felice Bauer

10. IV. 13
 


Endlich weiß ich, wo Du bist, Felice. Ich wage "endlich" zu sagen, trotzdem ich nur einen Tag ohne Brief war und trotzdem Du - Aber wozu das alles wiederholen, Du nimmst mir diesen Zwang, den ich auf Dich üben muß, nicht übel, denn wenigstens ahnen mußt Du es doch, dass mein Verlangen nach einer möglichst ununterbrochenen brieflichen Verbindung mit Dir seinen Grund nicht eigentlich in der Liebe hat, denn die müßte Dich doch in Deiner jammervollen Müdigkeit der ganzen letzten Zeit zu schonen suchen, sondern in meiner unglücklichen Verfassung.

Felice, ich will keine Antworten auf meine Briefe haben, ich will von Dir hören, nur von Dir, ich will Dich in so friedlichem Zustande sehn, wie wenn ich nicht da wäre oder wie wenn ich ein anderer Mensch wäre, ich müßte ja zittern bei dem Gedanken, dass ich die Antworten bekommen könnte, die meine Briefe verdienen - aber nur das eine sag mir, Felice, damit ich darin klar sehe, von wo die Entscheidung schließlich kommen muß, sag: hast Du aus jenem verdrehten, gezierten, ohnmächtigen, dummen Brief, den Du vorigen Donnerstag bekommen hast und auf den ich mich schon mehrmals berufen habe, herausgelesen, um was es sich handelt? Eigentlich dürfte ich von nichts anderem sprechen, es ist wunderbar, Ruhepausen zu genießen, Dich anschauen und an sich vergessen, aber es ist unverantwortlich.

Daran dass Du in Hannover bist, hatte ich nicht gedacht. Ich hatte geglaubt, dass Du erst von Frankfurt aus hinfährst, irre ich nicht, so hast Du es auch einmal so geschrieben. Und Deine Schwester ist in Hannover? Plötzlich? Ist alles Unglück schon vorüber? Die 5 bis 6 Wochen, von denen Du einmal die Entscheidung darüber abhängig gemacht hast, wären ja schon verstrichen. Du hast in Hannover bei Deiner Schwester gewohnt, nicht im Hotel?

Von meiner Gärtnerei mußt Du Dir nicht allzu gute Folgen für mich versprechen. Heute arbeitete ich den vierten Tag. Die Muskeln werden natürlich etwas gespannt, die ganze Figur etwas schwerer und aufrechter und das Selbstgefühl erhöht sich dadurch ein wenig. Ganz ohne Bedeutung kann es natürlich nicht sein, wenn ein Körper, der ohne gute natürliche Gaben bei einem Schreibtisch- und Kanapeeleben sich immerfort angreifen und erschüttern läßt, einmal mit dem Spaten selbst angreift und erschüttert. Aber die Grenzen solcher Wirkungen sind schon zu sehn, ich schreibe Dir darüber noch. Es ist heute schon spät, ich war abends bei Max und habe mich bei den zwei zufriedenen Menschen zu lange aufgehalten. Über diese Ehe habe ich zuerst schlecht geurteilt, aber die Gründe meines Irrtums sind mir nur zu klar.

Franz


Letzte Änderung: 8.6.2016werner.haas@univie.ac.at