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An Felice Bauer
Einen Zahn hat man Dir gezogen und Schmerzen hast Du wieder gehabt. Wie
wirst Du doch fortwährend geplagt und die Müdigkeit will Dich
gar nicht verlassen und doch müßtest Du Dich nur einmal völlig
ausruhn und könntest die Frischeste sein. Es liegt mir so nahe, jedes
Leid, das Dich trifft, in Beziehung zu mir zu bringen, mich deshalb anzuklagen,
selbst wenn es so unsinnig ist wie bei Zahnschmerzen. Wirst Du jetzt in
Frankfurt Ruhe haben? Und ist das Ehepaar Bluen mitgefahren? Und Frl. Brühl?
Und wirst Du Dich recht ausruhn? Lies nicht so lange im Bett wie in Prag!
Lies am besten nur Gedichte, nicht Romane, die Dich wachhalten. Ich schicke
Dir morgen Werfels Gedichte. Mit dieser Sendung belohnte ich Werfel, er
verdient es. Heute bekam ich von ihm eine Karte, die er, trotzdem er als
nachlässig und faul bekannt ist, geradezu augenblicklich nach Erhalt
eines Briefes von mir geschrieben hat und in der er sich erbietet mit zwei
andern, die mir auch schreiben, alles mögliche für Löwy
zu tun, dem es diesmal wieder hundeschlecht geht und der im Krankenhaus
mit jenen fürchterlichen Kopfschmerzen liegt, die ihn alle Vierteljahre
als Folge irgendeiner alten Nasenoperation anfallen. Er hat sich von seiner
alten Truppe getrennt, mit den schönsten Absichten trotz meines Abratens
eine neue Truppe gebildet, die besser als die alte sein sollte, bessere
Stücke als die alte aufführen sollte, die aber-wie dies bei so
zufällig, eilig zusammengebrachten Leuten selbstverständlich
ist-viel schlechter war als die alte und bei der kindlichen Geschäftsführung
des Löwe - er fuhr mit der Truppe immerfort zwischen Leipzig und Berlin
hin und her fast ohne zu schlafen - auch viel weniger verdiente. Nun war
es knapp vor dem Zusammenbruch, die Konkurrenz der alten, bessern Truppe
schadete auch und nahm für die Zukunft jede Aussicht, die Schulden,
die Löwy für die Truppe auf seinen Namen aufgenommen hatte, waren
umsinnig hoch (was denken sich nur diese Gläubiger!) - da wurde Löwy
auch noch krank (er schrieb mir: "Gott ist groß, wenn er gebt,
so gebt er von alle Seiten"), die Truppe verlief sich natürlich
so rasch wie möglich und nun ist er dageblieben, krank, ohne jede
Mittel, mit großen Schulden, ohne Aussicht, nach einem vollständigen
Mißlingen. Es ist schon eine alte Geschichte, ich weiß gar
nicht, warum ich Dir davon nicht geschrieben habe; ich habe eine Menge
Briefe von ihm bekommen. Vielleicht folgt er mir jetzt und fährt nach
Palästina.
Liebste, ich soll schon schließen und habe Dich noch gar nicht recht
angesprochen. Heute vormittag begleitete ich Dich in Gedanken auf Deiner
vermeintlichen Fahrt. Es tut nichts, ich bin nachmittag zum zweitenmal
nach Frankfurt gefahren.
Franz
Letzte Änderung: 8.6.2016 werner.haas@univie.ac.at