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An Felice Bauer

7. IV. 13
 


Felice, Liebste, endlich bin ich beim Brief, nebenan ist kein übermäßig angenehmer Besuch, ich laufe schon seit 1½ Stunden in mein Zimmer, als wärest Du hier. Merkst Du an meiner Schrift, dass ich heute schon schwere Arbeit geleistet habe und der Federhalter für mich schon eine zu leichte Sache ist? Ja, ich habe heute zum erstenmal beim Gärtner draußen in Nusle, einer Vorstadt, gearbeitet, im kühlen Regen nur in Hemd und Hosen. Es hat mir gut getan. Und es war nicht ganz leicht, eine Stelle zu finden. Dort in der Gegend gibt es zwar viele Gemüsegärten, aber sie stehn ganz frei, ohne Umzäunung, zwischen Häusern, und gerade abend nach Arbeitsschluß, also gerade wenn ich arbeiten will, ist dort ringsherum viel Verkehr, amerikanische Schaukeln, Karussells, Musik; wie hübsch das auch sonst ist, als Arbeitsplatz hat mir das nicht sehr gefallen, besonders auch, da in diesen Gemüsegärten, die meist ganz klein sind und armen Leuten gehören, der Anbau sehr einförmig ist und man deshalb nicht viel erlernen kann. Nun wollte ich ja eigentlich nichts erlernen. Mein Hauptzweck war, mich für paar Stunden von der Selbstquälerei zu befreien, im Gegensatz zu der gespensterhaften Arbeit im Bureau, die mir förmlich davonfliegt, wenn ich sie fassen will - dort im Bureau ist die wahre Hölle, eine andere fürchte ich nicht mehr -, eine stumpfsinnige, ehrliche, nützliche, schweigsame, einsame, gesunde, anstrengende Arbeit zu leisten. Ganz ehrlich ist

ja schon diese Begründung nicht denn ich halte die Selbstquälerei, die ich immerfort ausführe, durchaus nicht für überflüssig, sondern sogar für höchst notwendig und im Verhältnis zu Dir, Liebste, sollte mich diese Quälerei eigentlich durchbohren zu Deinem Glück. Aber für 2 Stunden wollte ich die Qual los sein und ruhig und glücklich an Dich denken dürfen und schließlich vielleicht mir für die Nacht einen ein wenig besseren Schlaf verdienen. Aber mit solchen Erklärungen hätte ich die Leute stutzig gemacht und es hätte mich vielleicht niemand aufgenommen, deshalb sagte ich, ich werde in absehbarer Zeit einen eigenen Garten haben und wolle deshalb ein wenig Gärtnerei erlernen.

Aber es ist zu spät, Felice, morgen erzähle ich weiter, heute schläfst Du wohl schlecht vor Reiseunruhe, armes Kind, es wird alles gut ausgehn. Hier ist einer, der kaum etwas anderes im Kopfe hat als gute Wünsche für Dich.

Franz


Letzte Änderung: 8.6.2016werner.haas@univie.ac.at