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An Felice Bauer

31. III. 13
 


Es ist schon spät, ich gehe schlafen, nur Dich grüßen und paar Federstriche für Dich schreiben will ich, Liebste, unbegreiflich Geliebte. Ich habe gefunden, dass ich seit Jahren zu wenig geschlafen habe, und diesem ewigen Reißen in meinem Kopf werde ich nur durch Schlafen beikommen oder gar nicht. Ich habe einen langen Spaziergang ganz allein mit Deinem gestrigen Brief gemacht, ich hätte mit zweierlei Leuten gehen können, aber ich wollte allein sein, früher wollte ich aus Koketterie, aus Unsinn, aus Faulheit allein sein und bin als leidlich frischer und gesunder junge gelangweilt allein herumgezogen, heute bin ich aus Notwendigkeit allein und zum nicht geringen Teil aus Sehnsucht nach Dir. Ich bin weit vor die Stadt gegangen, habe an einem Abhang in der Sonne ein wenig geduselt, die Moldau zweimal übersetzt, Deinen Brief mehrmals gelesen, Steine von der Höhe hinuntergeworfen, weite Ausblicke gehabt, wie sie nur im ersten Frühjahr zu sehen sind, Liebespaare gestört (er lag im Gras, sie bewegte sich vor ihm auf und ab) - alles war nichts, das einzig Lebendige an mir war Dein Brief in meiner Tasche.

Wenn Du nur gesund bist, Liebste, ich habe solche Sorgen. Diese bitte um Dispens vom Briefeschreiben hat mich auf den Verdacht gebracht, dass Du nicht ins Bureau gehst. Sollte das wahr sein? Liebste, bleib mir gesund, ich will nie mehr klagen, wenn Du gesund bleibst. Und geh nicht so spät schlafen, Du hast gut ausgesehn, hattest rote Wangen, warst frisch, und doch konnte plan es Dir an sehn, dass Du zu wenig schläfst. Liebste, geben wir uns das Versprechen, bis Pfingsten immer um 9 schlafen zu gehe. Jetzt ist zwar schon ½10, immerhin es ist noch nicht zu spät und vom Brief bin ich gestärkt. Also gute Nacht, Liebste, sagen wir es immer um 9 Uhr einer dem andern.

Franz


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at