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An Felice Bauer
Du hast recht, Felice, ich zwinge mich in der letzten Zeit öfters,
Dir zu schreiben, aber mein Schreiben an Dich und mein Leben sind sehr
nahe zusammengerückt, und auch zu meinem Leben zwinge ich mich; soll
ich das nicht?
Es kommt mir auch fast kein Wort vom Ursprung her, sondern wird weit am
Wege irgendwo, zufällig, unter übergroßen Umständen
festgepackt. Als ich im vollen Schreiben und Leben war, schrieb ich Dir
einmal, dass jedes wahre Gefühl die zugehörigen Worte nicht
sucht, sondern mit ihnen zusammenstößt oder gar von ihnen getrieben
wird. Vielleicht ist es so doch nicht ganz wahr.
Wie könnte ich aber auch, selbst bei noch so fester Hand, alles im
Schreiben an Dich erreichen, was ich erreichen will: Dich gleichzeitig
von dem Ernst der zwei Bitten überzeugen: "Behalte mich lieb"
und "Hasse mich!"
dass Du nicht genug an mich denkst, das meine ich aber im Ernst. Denn
tätest Du das, dann hättest Du mir das weiße Haar geschickt.
-Meine Haare sind aber nicht nur an den Schläfen weiß, nein,
der ganze Schädel wird weiß und wird, wenn ich daran denke,
dass Du irgendjemanden schon wegen seiner Glatze nicht leiden konntest,
noch tun ein Stück weißer.
Deine Schwester in Budapest sieht auf der Photographie ein wenig müde
und traurig aus, niclit? War sie damals schon verheiratet? Sie ist Deiner
Dresdner Schwester wohl ähnlicher als Dir.
Zu dem Tagebuchschreiben habe ich doch keinen rechten Mut, Felice. ("Fe"
will mir nun wieder nicht aus der Feder, es ist für Mitschülerinnen
gut, für flüchtige Berührungen; Felice ist mehr, ist schon
eine ordentliche Umarmung, und ich, der ich auf Worte angewiesen bin, hier
und von Natur aus, darf solche Gelegenheiten nicht versäumen.) Es
würden schließlich doch unleidliche Dinge darin steten, ganz
unmögliche Dinge, und wärest Du denn, Liebste, imstande, die
Blätter dann nur als Tagebuch und nicht als Brief zu lesen? Die Zusicherung
müßte ich vorher haben.
Heute nachmittag schrieb ich so, als hinge die Reise nach Berlin nur von
mir ab; daran war nur die Eile des Briefes schuld, natürlich hängt
die Reise vor allem von Deiner Meinung ab.
Leb wohl Liebste, ich schreibe Dir noch morgen während des Tages,
wie es mit dem Hindernis meiner Reise steht.
Franz
Hast Du die Sachen von Felix und Oskar gelesen? Monte
Carlo kenne ich nicht, Max will es mir nicht zeigen, weil die Redaktion
zu viel darin geändert hat. In der Osternummer wird etwas über
"die österr. Familie" von Max sein.
[3]
Vielleicht ... nicht ganz wahr: Vgl. Kafkas Brief
vom 18.-19. Februar 1913, S. 305 f.
die Sachen von Felix und Oskar: Die Beilagen zum
Brief 13.-14. März 1913, die Novelle "Die Fremden von Oskar
Baum und der Aufsatz über Henri Bergson von Felix Weltsch.
die österr. Familie: Max Brod, "Zur
Charakteristik der österreichischen Familien, Berliner Tageblatt,
23. März 1913, 4. Beiblatt.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at