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An Felice Bauer

vom 17. zum 18. III. 13
 


Du hast recht, Felice, ich zwinge mich in der letzten Zeit öfters, Dir zu schreiben, aber mein Schreiben an Dich und mein Leben sind sehr nahe zusammengerückt, und auch zu meinem Leben zwinge ich mich; soll ich das nicht?

Es kommt mir auch fast kein Wort vom Ursprung her, sondern wird weit am Wege irgendwo, zufällig, unter übergroßen Umständen festgepackt. Als ich im vollen Schreiben und Leben war, schrieb ich Dir einmal, dass jedes wahre Gefühl die zugehörigen Worte nicht sucht, sondern mit ihnen zusammenstößt oder gar von ihnen getrieben wird. Vielleicht ist es so doch nicht ganz wahr.

Wie könnte ich aber auch, selbst bei noch so fester Hand, alles im Schreiben an Dich erreichen, was ich erreichen will: Dich gleichzeitig von dem Ernst der zwei Bitten überzeugen: "Behalte mich lieb" und "Hasse mich!"

dass Du nicht genug an mich denkst, das meine ich aber im Ernst. Denn tätest Du das, dann hättest Du mir das weiße Haar geschickt. -Meine Haare sind aber nicht nur an den Schläfen weiß, nein, der ganze Schädel wird weiß und wird, wenn ich daran denke, dass Du irgendjemanden schon wegen seiner Glatze nicht leiden konntest, noch tun ein Stück weißer.

Deine Schwester in Budapest sieht auf der Photographie ein wenig müde und traurig aus, niclit? War sie damals schon verheiratet? Sie ist Deiner Dresdner Schwester wohl ähnlicher als Dir.

Zu dem Tagebuchschreiben habe ich doch keinen rechten Mut, Felice. ("Fe" will mir nun wieder nicht aus der Feder, es ist für Mitschülerinnen gut, für flüchtige Berührungen; Felice ist mehr, ist schon eine ordentliche Umarmung, und ich, der ich auf Worte angewiesen bin, hier und von Natur aus, darf solche Gelegenheiten nicht versäumen.) Es würden schließlich doch unleidliche Dinge darin steten, ganz unmögliche Dinge, und wärest Du denn, Liebste, imstande, die Blätter dann nur als Tagebuch und nicht als Brief zu lesen? Die Zusicherung müßte ich vorher haben.

Heute nachmittag schrieb ich so, als hinge die Reise nach Berlin nur von mir ab; daran war nur die Eile des Briefes schuld, natürlich hängt die Reise vor allem von Deiner Meinung ab.

Leb wohl Liebste, ich schreibe Dir noch morgen während des Tages, wie es mit dem Hindernis meiner Reise steht.

Franz


Hast Du die Sachen von Felix und Oskar gelesen? Monte Carlo kenne ich nicht, Max will es mir nicht zeigen, weil die Redaktion zu viel darin geändert hat. In der Osternummer wird etwas über "die österr. Familie" von Max sein. [3]




Vielleicht ... nicht ganz wahr: Vgl. Kafkas Brief vom 18.-19. Februar 1913, S. 305 f.


die Sachen von Felix und Oskar: Die Beilagen zum Brief 13.-14. März 1913, die Novelle "Die Fremden von Oskar Baum und der Aufsatz über Henri Bergson von Felix Weltsch.


die österr. Familie: Max Brod, "Zur Charakteristik der österreichischen Familien, Berliner Tageblatt, 23. März 1913, 4. Beiblatt.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at