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An Felice Bauer

16. III. 13
 


Sonntag und keine Nachricht. Das ist nun doch sehr traurig. Vielleicht, meine Liebste, willst Du oder kannst Du nur jeden zweiten Tag schreiben, es wäre ja gewiß auch besser - immer meine ich, alles ist besser als das Jetzige - dann setzen wir es aber fest. Ich schreibe wie bisher jeden Tag.

Liebste, liebste Felice! Wie ich Dich gestern abend förmlich beschworen habe! Wenn ich Dich doch so verdiente (darüber kannst Du nicht urteilen), wie ich Dich brauche (das ahnst Du manchmal gewiß)! Aber Verdienst und Notwendigkeit sind wie Traum und Wachen, die Verbindung zwischen ihnen ist verzerrt.

Wieder gefällt mir Fe nicht so gut wie Felice, es ist zu kurz, der Atem weht nicht lange genug hindurch. Könnte ich doch, Felice, einmal -denn einmal wäre immer - so nahe bei Dir sein, dass Reden und Hören eines wäre, Stille. - Sie streiten in der Küche über eine gestohlene Wurst und stören mich. Nicht nur sie stören mich, in mir jubelt es ja von Kräften, welche stören.

Aber Liebste, warum läßt Du Dich denn von mir so beeinflussen, dass Dir ein Automobilunfall die beste Lösung von Sorgen erscheint. Das bist doch nicht Du, Liebste! In diesem Automobil bin wirklich ich bei Dir gesessen. In der Möglichkeit solcher Gefahren lebst Du, und ich schlage mich mit Schatten herum, wäre ich nicht selbst eileer, es wäre unbegreiflich. Aber ich wußte für mich nichts Besseres - und beim Lesen solcher Nachrichten wird das Gelüste übergroß -, als Automobile, in denen Du in Gefahr bist, mit meinem Körper aufzuhalten. Es wäre die äußerste Verbindung, deren ich wert und hoffentlich fähig bin.

Deine Schwester [Erna] hat nur eine Ahnung von Ähnlichkeit mit Dir, aber hätte sie keine und wußte ich nur, dass sie Deine Schwester ist, ich müßte sie doch lieben. Der Ausdruck ihrer Augen und deren Verhältnis zur Nase gehört einem Typus jüdischer Mädchen an, der mir immer naheging. Um den Mund ist dann eine besondere Zartheit. Sie ist aber doch irrganzen doch sehr kräftig, scheint es, und nicht so leicht vom Unglück niederzuwerfen. Nun hat sie auch noch eine Freundin, die für sie sorgt und ihretwegen nach Berlin fährt? Die Frisur ist etwas überflüssig groß, aber vielleicht stammt das Bild aus der Zeit, wo man ohne Locken nicht auskommen konnte.

Was wirst Du Liebste, Ostern machen? Bleibst Du in Berlin? Und wenn Du in Berlin bleibst, wird man viel Ansprüche an Dich stellen? Wieso kommt es, dass Dein Vater jetzt so Lange in Berlin bleibt?

Deine Schwester kommt Ostern wohl auch nachhause? Aus Budapest kam noch keine Nachricht? Sollte mein Delikatessenhändler das Paket verschlampt haben? Baum liest nun also bestimmt am 14. April. Da wirst Du wohl nicht mehr in Berlin sein. Schade, sehr schade!

Franz




14. April. : Kafkas Freund trug im Klindworth-Scharwenka-Saal aus eigenen Dichtungen vor. Vgl. die Besprechung von Th. T. im Berliner Tageblatt vom 15. April 1913, Abendausgabe.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at