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[An Felice Bauer]
[Prag, 11.3.1913; Dienstag]

vom 10. zum 11. III. 12

Womit habe ich mir denn die Schachtel mit den lieben Blumen verdient? Ich bin mir keines Verdienstes bewußt und es wäre viel passender für mich gewesen, wenn in der Schachtel ein Teufel versteckt gewesen wäre, mich in die Nase gezwickt und nicht mehr losgelassen hätte, so dass ich ihn immer herumtragen müßte. Weißt Du, dass ich für Blumen eigentlich keinen Sinn hatte und auch jetzt im Grunde Blumen nur würdigen kann, wenn sie von Dir kommen und auch dann würdige ich sie eben nur auf dem Weg über Deine Blumenliebe. Schon seit meiner Kindheit gab es immer Zeiten, wo ich fast unglücklich war über mein Unverständnis Blumen gegenüber. Dieses Unverständnis deckt sich zum Teil mit meinem Unverständnis der Musik, wenigstens habe ich diese Beziehung oft gefühlt. Ich sehe kaum die Schönheit der Blumen, eine Rose ist mir ein kaltes Ding, zwei sind mir schon zu gleichförmig, Zusammensetzungen von Blumen scheinen mir immer willkürlich und erfolglos. Wie das die Unfähigkeit immer zu machen pflegt, habe auch ich oft versucht, andern eine besondere Neigung für Blumen vorzutäuschen. Es gelang mir wie jeder bewußten Unfähigkeit, solche Leute zu täuschen, die eine dumpfe, aus ihrem sonstigen Wesen nirgends hervortretende Zuneigung zu Blumen haben. Meine Mutter z.B. hält mich gewiß für einen Blumenfreund, weil ich gern Blumen schenke und vor Blumen mit Draht fast schaudere. Aber dieser Draht stört mich nicht eigentlich der Blumen halber, sondern ich denke nur an mich und dieses Stückchen Eisen, das sich in das Lebendige windet, ist für mich scheußlich aus diesem Grund. Ich wäre vielleicht gar nicht darauf so aufmerksam gemacht worden, dass ich ein solcher Fremder unter Blumen bin, wenn ich nicht gegen das Ende des Gymnasiums und während der Universitätszeit einen guten Freund gehabt hätte (er hat mit dem Vornamen Ewald geheißen, fast ein Blumenname, nicht?), der, ohne besonders für zartere Eindrücke empfänglich zu sein, ja sogar ohne musikalisches Gefühl zu haben, eine solche Liebe zu Blumen besaß, dass sie ihn, wenn er z.B. gerade Blumen ansah, abschnitt (er hatte einen schönen Garten), begoß, in eine Vase steckte, in der Hand trug oder mir schenkte (was soll ich mit ihnen anfangen, fragte ich mich oft und wollte es doch nicht bis zur äußersten Eindeutigkeit sagen, im allgemeinen sagte ich es natürlich oft, er war ja darin auch nicht zu täuschen), dass ihn also diese Liebe geradezu verwandelte und er dann anders - ich möchte fast sagen - tönender sprach trotz des kleinen Sprachfehlers, den er hatte. Oft standen wir vor Blumenbeeten, er sah auf die Blumen, ich gelangweilt über sie hinweg. Was würde er nun sagen, wenn er sehen würde, wie ich die Blumen sorgfältig aus der Schachtel hebe, ans Gesicht drücke und lange ansehen kann. Wie kann ich denn für alle Deine Liebe und Güte danken, Felice?

Franz,
eng darunter geschrieben.

[Zwischen den Zeilen]
(Antwort in der Klammer: Weil heute keine Nachricht kam.)


Ewald: Kafkas Mitschüler und Studienfreund Ewald Pribram, in den Briefen öfters erwähnt. - Züge seiner Persönlichkeit sind in der Figur des Gegenspielers in "Beschreibung eines Kampfes" deutlich erkennbar.
Sein Vater, Otto Pribram, war von 1895 bis zu seinem Tode 1917 Präsident der "Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt für das Königreich Böhmen in Prag", bei der Kafka 1908 angestellt wurde.

Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at