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An Felice Bauer
Liebe Felice, warum machen mich Deine Briefe schwach und halten mir die
Feder fest, die ohne Unterbrechung das Wahre über mich, die traurigen
Enthüllungen schreiben will?
Ich war anders am Anfang, das gibst Du zu, das wäre auch nichts Schlimmes,
nur ist es keine gerade menschliche Entwicklung, die mich von dort hierher
geführt hat, sondern ich bin ganz und gar auf meine alte Bahn übergesetzt
worden, zwischen den beiden Wegen gibt es aber weder eine gerade noch eine
Zick-Zack-Verbindung, sondern nur den traurigen Luft- und Gespensterweg.
(Es ist jetzt nach dem Essen, gerade ist der kleine Felix auf dem Arm des
Fräuleins durch mein Zimmer ins Schlafzimmer befördert worden,
hinter ihm geht mein Vater, hinter ihm der Schwager, hinter ihm die Schwester.
Nun ist er ins Bett der Mutter gebettet worden, und jetzt horcht der Vater
in meinem Zimmer an der Tür des Schlafzimmers, ob ihn Felix nicht
doch noch rufen wird, denn ihn liebt er am meisten von allen. Tatsächlich
ruft er noch "Dje-Dje", was Großvater heißt, und
nun öffnet der Vater zitternd vor Freude noch einigemal die Tür,
steckt einigemal noch schnell den Kopf ins Schlafzimmer und entlockt so
dem Kind noch ein paar Dje-Dje-Rufe.)
Was sich aber an Dir, Felice, verändert hat, das waren nur Einzelheiten
am Rande Deiner Existenz, die sich im Laufe der Monate vor mir ausbreitete,
sich ausbreitete aus einem unveränderlichen göttlichen Kern.
Du schreibst über meine Klagen, "ich glaube nicht daran und
auch Du glaubst es nicht". Diese Meinung ist ja das Unglück
und ich bin nicht schuldlos daran. Es hat sich, das leugne ich nicht (leider
aus der schönsten Berechtigung heraus), eine Übung im Klagen
bei mir entwickelt, so dass mir der Klageton wie den Straßenbettlern
immer zur Verfügung steht, auch wenn es mir nicht ganz genau so ums
Herz ist. Aber ich erkenne meine über jedem Augenblick ruhende Pflicht,
Dich zu überzeugen, klage deshalb auch mechanisch mit leerem Kopf
und erreiche damit natürlich das Gegenteil. "Du glaubst nicht
daran" und überträgst den Nichtglauben dann auch auf die
wahren Klagen.
Aber weg davon! Zum Schluß des Briefes wenigstens weg davon! Gestern
abend fühlte ich mich aus verschiedenen Gründen besonders allein,
das ist eigentlich das Schönste, niemand stört dann (auch wenn
man gerade mit vielen Verwandten geht), ringsum um einen ist es leer, alles
geradezu sorgfältig dafür vorbereitet, dass Du kommst. Und
Du kamst dann auch, warst ganz nahe bei mir, wie allein, fast komisch allein
ich gerade auch aussehen mochte.
Franz
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at