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An Felice Bauer


Sonntag vor dem Essen 9. III. 13
 

Liebe Felice, warum machen mich Deine Briefe schwach und halten mir die Feder fest, die ohne Unterbrechung das Wahre über mich, die traurigen Enthüllungen schreiben will?

Ich war anders am Anfang, das gibst Du zu, das wäre auch nichts Schlimmes, nur ist es keine gerade menschliche Entwicklung, die mich von dort hierher geführt hat, sondern ich bin ganz und gar auf meine alte Bahn übergesetzt worden, zwischen den beiden Wegen gibt es aber weder eine gerade noch eine Zick-Zack-Verbindung, sondern nur den traurigen Luft- und Gespensterweg. (Es ist jetzt nach dem Essen, gerade ist der kleine Felix auf dem Arm des Fräuleins durch mein Zimmer ins Schlafzimmer befördert worden, hinter ihm geht mein Vater, hinter ihm der Schwager, hinter ihm die Schwester. Nun ist er ins Bett der Mutter gebettet worden, und jetzt horcht der Vater in meinem Zimmer an der Tür des Schlafzimmers, ob ihn Felix nicht doch noch rufen wird, denn ihn liebt er am meisten von allen. Tatsächlich ruft er noch "Dje-Dje", was Großvater heißt, und nun öffnet der Vater zitternd vor Freude noch einigemal die Tür, steckt einigemal noch schnell den Kopf ins Schlafzimmer und entlockt so dem Kind noch ein paar Dje-Dje-Rufe.)

Was sich aber an Dir, Felice, verändert hat, das waren nur Einzelheiten am Rande Deiner Existenz, die sich im Laufe der Monate vor mir ausbreitete, sich ausbreitete aus einem unveränderlichen göttlichen Kern.

Du schreibst über meine Klagen, "ich glaube nicht daran und auch Du glaubst es nicht". Diese Meinung ist ja das Unglück und ich bin nicht schuldlos daran. Es hat sich, das leugne ich nicht (leider aus der schönsten Berechtigung heraus), eine Übung im Klagen bei mir entwickelt, so dass mir der Klageton wie den Straßenbettlern immer zur Verfügung steht, auch wenn es mir nicht ganz genau so ums Herz ist. Aber ich erkenne meine über jedem Augenblick ruhende Pflicht, Dich zu überzeugen, klage deshalb auch mechanisch mit leerem Kopf und erreiche damit natürlich das Gegenteil. "Du glaubst nicht daran" und überträgst den Nichtglauben dann auch auf die wahren Klagen.

Aber weg davon! Zum Schluß des Briefes wenigstens weg davon! Gestern abend fühlte ich mich aus verschiedenen Gründen besonders allein, das ist eigentlich das Schönste, niemand stört dann (auch wenn man gerade mit vielen Verwandten geht), ringsum um einen ist es leer, alles geradezu sorgfältig dafür vorbereitet, dass Du kommst. Und Du kamst dann auch, warst ganz nahe bei mir, wie allein, fast komisch allein ich gerade auch aussehen mochte.

Franz


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at