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An Felice Bauer
Zehn Uhr vorüber, Liebste, und ich bin genau so müde wie Du vorgestern.
Ich bin in mein kaltes Zimmer herübergegangen, im warmen (pfui, jetzt
höre ich, wie der Vater nebenan von der Fabrik spricht) nebenan war
ich schon ganz matt. Du mußt wissen, dass ich von heute ab meine
Lebensweise für einige Zeit ändere; wenn es so wie bisher unerträglich
war, vielleicht geht es anders; wenn man auf der linken Seite nicht schlafen
kann, dreht man sich (oft bereut man es dann freilich und des Wälzens
ist dann kein Ende) auf die rechte Seite und ein Leben wie im Bett führe
ich ja. (Nebenan wird noch immer von der Fabrik gesprochene mich überlauft
es, ich scheine wirklich den richtigen Augenblick zum Weggehn abgepaßt
zu haben.) Die Änderung der Lebensweise besteht darin, dass ich
An dieser Stelle unterbrach ich das Schreiben, das Nebenzimmer war nun
frei geworden, ich sagte noch den Eltern "Gute Nacht", der
Vater stand gerade auf dem Kanapee und zog die Wanduhr auf, ich ging dann
also ins Wohnzimmer, konnte mich aber nicht entschließen weiterzuschreiben,
nahm das Buch von Max und Felix [Anschauung und Begriff] und las das Einleitungskapitel
wieder einmal, das in manchen Stellen meisterhaft geschrieben ist, wie
von einer dritten, fremden, sehr bedeutenden Person. Ich hatte den Brief
liegen lassen, weil es sich mir plötzlich gar so aufdrängte,
dass ich immerfort und immerfort nur von mir schreibe und am Ende
gar immerfort das gleiche, ohne aufzuhören und dass es widerlich
ist, wie ich mich da immer wieder vor Dir ausbreite, ohne zu wissen, ob
Du dabei nicht innerlich vor Abscheu, Ungeduld oder Langweile zitterst.
Wenn ich das sage, Liebste, so zweifle ich deshalb an Dir noch nicht im
geringsten, so dürfen noch Liebende miteinander reden, das steht auch
in dem Prolog drin, den Du mir heute geschenkt hast und der mir viel Vergnügen
gemacht hat, trotzdem er nicht vollständig und hie und da etwas übermäßig
flüchtig ist. Außerdem Liebste, verstehe mich und sei nicht
böse, mache ich mir solche Vorwürfe nur wegen der Briefe, wären
wir beisammen und säßest Du auf dem Sessel nebenan (ich rücke
ihn gerade mit der linken Hand ein wenig näher), ich würde an
solche Möglichkeiten gar nicht denken und selbst wenn ich, was sehr
wahrscheinlich wäre, noch viel schlimmere Dinge über mich zu
sagen hätte, als es jene sind, die ich schreibe. (Eine sehr kleine
Verlockung für künftige Zusammenkünfte, nicht wahr, Felice?)
Ja auf diesem Sessel solltest Du, von der mir morgen vielleicht ein schlimmer
Brief droht, sitzen, der Tisch sollte weggeschoben werden und wir sollten
die Hände zusammengeben. Über dieser Erscheinung vergesse ich
ganz an meinen Auftrag für Budapest. Er ist natürlich vom
schon besorgt.
Franz
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at