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An Felice Bauer
Ich hatte, Liebste, heute keinen Brief von Dir. Es ist leicht erklärt
t, die Schwester war gestern in Berlin, Du hattest keine Zeit, aber die
Budapester Adresse habe ich noch nicht und bekomme ich sie nicht morgen,
so ist der Geburtstag vielleicht versäumt.
Ich habe Dir vieles zu sagen, meine ganze Existenz ist ja nichts anderes,
als etwas, was ich Dir anvertrauen wollte, wenn es möglich wäre
- und doch bitt ich jetzt eine ganze Weile still mit erhobener Feder dagesessen,
der gestrige Brief ist doch schließlich eine Frage, auf die ich Antwort
haben muß, und da ich zudem heute keine Nachricht hatte, scheint
mir damit, so unsinnig die Vorstellung ist, auch mein gestriger Brief,
den Du doch erst morgen bekommen wirst, unbeantwortet geblieben. Ich komme
mir vor, als stünde ich vor einer abgesperrten Tür, hinter der
Du wohnst und die sich niemals öfnen wird. Nur durch Klopfen gibt
es eine Verständigung, und nun ist es hinter der Tür auch noch
still geworden. Eines aber kann ich (bin ich aber nervös! in meinem
Tintenfaß ist wenig Tinte und es ist deshalb gegen eine Zündhölzchenschachtel
gestützt, nun ist es beim raschen Eintauchen der Feder von der Schachtel
abgeglitten - mich aber hat es vom Kopf bis zu den Füßen durchzuckt
und beide Hände sind mir in die Höhe geflogen, als hätte
ich jemanden um Gnade zu bitten) eines kann ich, das ist - warten, so sehr
gerade die` eingeklammerte Nervosität dem zu widersprechen scheint.
Ungeduld ist für mich nur Zeitvertreib des Wartens, die Kraft zu warten
wird dadurch nicht angegriffen, wenn es auch natürlich überhaupt
nicht Kraft ist, sondern Schwäche und auf das geringste Kommando eintretende
Entspannung der wenigen Kräfte, die in Tätigkeit waren. Diese
meine Eigenschaft, Liebste, bringt Dich in größte Gefahr, das
sage ich noch im Nachhang zu meinem gestrigen Brief. Denn ich für
meinen Teil, Liebste, würde Dich niemals verlassen und selbst wenn
mein Los so fallen würde, dass - es wäre nicht das schlimmste
für mich - ich innerlich ein Verhältnis zu Dir hätte, das
z.ß. dem äußerlichen Vorgang entsprechen würde, dass
ich nichts anderes zu tun hätte, als ewig vor einem Nebeneingang Deines
Hauses auf Dich zu warten, während Du durch den Haupteingang aus und
ein gingest. Laß Dich dadurch im Urteil über mich nicht beirren,
und wenn ich noch so sehr zu Deiner Hand hinabgebeugt bin, sprich über
mich hinweg Deine wahre Meinung aus! Die Rechnung liegt ja so einfach,
Du wirst mir nichts Überraschendes sagen. Ich bin ein anderer Mensch,
als ich es in den ersten 2 Monaten unseres Briefwechsels war, es ist keine
neue Verwandlung, sondern eine Rückverwandlung und wohl eine dauernde.
Wenn Du Dich zu jenem Menschen hingezogen fühltest, mußt Du,
mußt Du den heutigen verabscheuen. Wenn Du es verschweigst, tust
Du so aus Mitleid und aus irreführender Erinnerung. Die Tatsache,
dass dieser heutige in allem so veränderte Mensch unverändert
und begreiflicher Weise eher noch schwerer als früher an Dir hängt,
muß, wenn Du es Dir klarmachst, von Dir aus gesehn seine Widerlichkeit
noch steigern.
Franz
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at