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An Felice Bauer

vom 3. zum 4.III.13
 


Ich hatte, Liebste, heute keinen Brief von Dir. Es ist leicht erklärt t, die Schwester war gestern in Berlin, Du hattest keine Zeit, aber die Budapester Adresse habe ich noch nicht und bekomme ich sie nicht morgen, so ist der Geburtstag vielleicht versäumt.

Ich habe Dir vieles zu sagen, meine ganze Existenz ist ja nichts anderes, als etwas, was ich Dir anvertrauen wollte, wenn es möglich wäre - und doch bitt ich jetzt eine ganze Weile still mit erhobener Feder dagesessen, der gestrige Brief ist doch schließlich eine Frage, auf die ich Antwort haben muß, und da ich zudem heute keine Nachricht hatte, scheint mir damit, so unsinnig die Vorstellung ist, auch mein gestriger Brief, den Du doch erst morgen bekommen wirst, unbeantwortet geblieben. Ich komme mir vor, als stünde ich vor einer abgesperrten Tür, hinter der Du wohnst und die sich niemals öfnen wird. Nur durch Klopfen gibt es eine Verständigung, und nun ist es hinter der Tür auch noch still geworden. Eines aber kann ich (bin ich aber nervös! in meinem Tintenfaß ist wenig Tinte und es ist deshalb gegen eine Zündhölzchenschachtel gestützt, nun ist es beim raschen Eintauchen der Feder von der Schachtel abgeglitten - mich aber hat es vom Kopf bis zu den Füßen durchzuckt und beide Hände sind mir in die Höhe geflogen, als hätte ich jemanden um Gnade zu bitten) eines kann ich, das ist - warten, so sehr gerade die` eingeklammerte Nervosität dem zu widersprechen scheint. Ungeduld ist für mich nur Zeitvertreib des Wartens, die Kraft zu warten wird dadurch nicht angegriffen, wenn es auch natürlich überhaupt nicht Kraft ist, sondern Schwäche und auf das geringste Kommando eintretende Entspannung der wenigen Kräfte, die in Tätigkeit waren. Diese meine Eigenschaft, Liebste, bringt Dich in größte Gefahr, das sage ich noch im Nachhang zu meinem gestrigen Brief. Denn ich für meinen Teil, Liebste, würde Dich niemals verlassen und selbst wenn mein Los so fallen würde, dass - es wäre nicht das schlimmste für mich - ich innerlich ein Verhältnis zu Dir hätte, das z.ß. dem äußerlichen Vorgang entsprechen würde, dass ich nichts anderes zu tun hätte, als ewig vor einem Nebeneingang Deines Hauses auf Dich zu warten, während Du durch den Haupteingang aus und ein gingest. Laß Dich dadurch im Urteil über mich nicht beirren, und wenn ich noch so sehr zu Deiner Hand hinabgebeugt bin, sprich über mich hinweg Deine wahre Meinung aus! Die Rechnung liegt ja so einfach, Du wirst mir nichts Überraschendes sagen. Ich bin ein anderer Mensch, als ich es in den ersten 2 Monaten unseres Briefwechsels war, es ist keine neue Verwandlung, sondern eine Rückverwandlung und wohl eine dauernde. Wenn Du Dich zu jenem Menschen hingezogen fühltest, mußt Du, mußt Du den heutigen verabscheuen. Wenn Du es verschweigst, tust Du so aus Mitleid und aus irreführender Erinnerung. Die Tatsache, dass dieser heutige in allem so veränderte Mensch unverändert und begreiflicher Weise eher noch schwerer als früher an Dir hängt, muß, wenn Du es Dir klarmachst, von Dir aus gesehn seine Widerlichkeit noch steigern.

Franz


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at