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An Felice Bauer

vom 27. zum 28. II. 13
 


Heute abend bin ich beschämt worden. Ich ging mit Weltsch spazieren (sein Buch [Anschauung und Begriff] ist schon erschienen. Würde es Dich interessieren? Ich glaube nicht, es ist recht streng philosophisch. Ich muß mich zum Lesen und Verstehen zwingen; wo nicht etwas dasteht, auf das man die Hand auflegen kann, verfliegt meine Aufmerksamkeit zu leicht) -ich ging also mit ihm spazieren und er fing unmerklich an - es dauerte auch nicht lange und war wohl nur eine augenblickliche Laune -, über und gegen meine Trübseligkeit zu reden. Das für mich Beschämende war nicht der Umstand, dass er überhaupt den Versuch machte, mich zu ermahnen. Das höre ich ja sehr gerne, es ist angenehm, sich. solche Dinge durch den leeren Kopf gehe zu lassen und überdies sprachW. heute äußerst klug. Das Beschämende war vielmehr, dass er diese Ermahnung für notwendig hielt, trotzdem ich ihn gerade und unmittelbar durch keine Bemerkung eigentlich dazu aufgefordert hatte und trotzdem gerade jetzt eigene Angelegenheiten ihn über alles beschäftigen. Das Beschämendste aber war, dass er versuchte - ob bewußt oder unbewußt ist gleichgültig, ich rede ja von meiner Beschämung -, mich gar nicht merken zu lassen, dass er mich ermahnte; er führte allgemeine Reden mit den für mein Gefühl allzu raschen Gedankenentwicklungen und allzu kurzen Antithesen, die er so liebt und die ihm so natürlich sind.

Was hilft die Beschämung! Nachdem ich ihn nachhause geführt hatte, es war Nebel und vor dem hat er Angst, dachte ich daran, ins Kaffeehaus zu gehn (ich hätte dort Werfel treffen können und andere), aber mir graute auch wieder davor und nach einigen unentschlossenen Drehungen wollte ich nachhause gehn. Da treffe ich einen Bekannten, einen zionistischen Studenten, der sehr vernünftig, eifrig, tätig, liebenswürdig und dabei von einer mich geradezu verwirrenden Ruhe ist. Er hält mich auf, ladet mich zu einem besonders wichtigen Vereinsabend ein (wie viele solche Einladungen hat er schon im Laufe der Zeit an mich verschwendet!) meine Gleichgültigkeit hinsichtlich seiner Person und jeden Zionismus war in dem Augenblick grenzenlos und unausdrückbar, aber ich fand - Du mußt es mir glauben, Liebste-keine gesellschaftlich durchführbare Möglichkeit des Abschieds, trotzdem natürlich ein stummer Händedruck auch genügt hätte, und bot mich nur aus diesem Grunde an, ihn zu begleiten und begleitete ihn tatsächlich bis zur Tür jenes Kaffeehauses, in das ich selbst früher hatte gehen wollen. Hineinziehen ließ ich mich aber nicht mehr, sondern fand überraschender Weise hübsch und leicht jenen befreienden Händedruck.

Nun ist es spät und ich habe Dir von dem heutigen Abend fast nichts erzählt, trotzdem ich gerade von meinem Alleinsein eine Unmenge zu erzählen hätte.

Franz


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at