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An Felice Bauer
Heute abend bin ich beschämt worden. Ich ging mit Weltsch spazieren
(sein Buch [Anschauung und Begriff] ist schon erschienen. Würde es
Dich interessieren? Ich glaube nicht, es ist recht streng philosophisch.
Ich muß mich zum Lesen und Verstehen zwingen; wo nicht etwas dasteht,
auf das man die Hand auflegen kann, verfliegt meine Aufmerksamkeit zu leicht)
-ich ging also mit ihm spazieren und er fing unmerklich an - es dauerte
auch nicht lange und war wohl nur eine augenblickliche Laune -, über
und gegen meine Trübseligkeit zu reden. Das für mich Beschämende
war nicht der Umstand, dass er überhaupt den Versuch machte,
mich zu ermahnen. Das höre ich ja sehr gerne, es ist angenehm, sich.
solche Dinge durch den leeren Kopf gehe zu lassen und überdies sprachW.
heute äußerst klug. Das Beschämende war vielmehr, dass
er diese Ermahnung für notwendig hielt, trotzdem ich ihn gerade und
unmittelbar durch keine Bemerkung eigentlich dazu aufgefordert hatte und
trotzdem gerade jetzt eigene Angelegenheiten ihn über alles beschäftigen.
Das Beschämendste aber war, dass er versuchte - ob bewußt
oder unbewußt ist gleichgültig, ich rede ja von meiner Beschämung
-, mich gar nicht merken zu lassen, dass er mich ermahnte; er führte
allgemeine Reden mit den für mein Gefühl allzu raschen Gedankenentwicklungen
und allzu kurzen Antithesen, die er so liebt und die ihm so natürlich
sind.
Was hilft die Beschämung! Nachdem ich ihn nachhause geführt hatte,
es war Nebel und vor dem hat er Angst, dachte ich daran, ins Kaffeehaus
zu gehn (ich hätte dort Werfel treffen können und andere), aber
mir graute auch wieder davor und nach einigen unentschlossenen Drehungen
wollte ich nachhause gehn. Da treffe ich einen Bekannten, einen zionistischen
Studenten, der sehr vernünftig, eifrig, tätig, liebenswürdig
und dabei von einer mich geradezu verwirrenden Ruhe ist. Er hält mich
auf, ladet mich zu einem besonders wichtigen Vereinsabend ein (wie viele
solche Einladungen hat er schon im Laufe der Zeit an mich verschwendet!)
meine Gleichgültigkeit hinsichtlich seiner Person und jeden Zionismus
war in dem Augenblick grenzenlos und unausdrückbar, aber ich fand
- Du mußt es mir glauben, Liebste-keine gesellschaftlich durchführbare
Möglichkeit des Abschieds, trotzdem natürlich ein stummer Händedruck
auch genügt hätte, und bot mich nur aus diesem Grunde an, ihn
zu begleiten und begleitete ihn tatsächlich bis zur Tür jenes
Kaffeehauses, in das ich selbst früher hatte gehen wollen. Hineinziehen
ließ ich mich aber nicht mehr, sondern fand überraschender Weise
hübsch und leicht jenen befreienden Händedruck.
Nun ist es spät und ich habe Dir von dem heutigen Abend fast nichts
erzählt, trotzdem ich gerade von meinem Alleinsein eine Unmenge zu
erzählen hätte.
Franz
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at