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An Felice Bauer
Nun bin ich wirklich hilflos, Liebste. Ich sehe Dich im Unglück und
weiß nicht, was geschieht; Du weinst wieder, ich kann kein Wort dazu
sagen; Du sagst, Du brauchst Rat, und ich kann Dir keinen geben. Es paßt
wahrhaftig zu den Fortschritten, die das Unglück um mich in der letzten
Zeit gemacht hat, dass nun auch Du in ein mir unbekanntes Unglück
hineingezogen wirst. Liebste, ich wollte wirklich mit Dir fort von hier.
Wozu es dulden, dass man von irgendeinem Himmel auf diese schwarze,
stachelige Erde geworfen worden ist? Schon als Kind bin ich immer in großer
Bewunderung vor einem schlechten Buntdruck in der Auslage eines Bildergeschäftes
gestanden, auf dem der Selbstmord eines Liebespaares dargestellt war. Es
war eine Winternacht und der Mond nur für diesen letzten Augenblick
zwischen großen Wolken sichtbar. Die beiden waren am Ende eines kleinen
hölzernen Landungssteges und machten gerade den entscheidenden Schritt.
Gleichzeitig strebte der Fuß des Mädchens und des Mannes in
die Tiefe und man fühlte aufatmend, wie beide schon von der Schwerkraft
ergriffen waren. Es ist mir nur noch erinnerlich, dass das Mädchen
um den bloßen Kopf einen dünnen, hellgrünen Schleier gewunden
hatte, der lose flatterte, während der dunkle Mantel des Mannes vom
Wind gestrafft wurde. Sie hielten einander umfaßt und man konnte
nicht sagen, sie zog oder er trieb, so gleichmäßig und notwendig
ging es vorwärts und man fühlte vielleicht undeutlich schon damals,
wenn man es auch erst später erkannte, dass es für Liebe
vielleicht keinen andern Ausweg gibt, als den, der da dargestellt wurde.
Aber damals war ich noch ein Kind und das Bild, das gewöhnlich neben
jenem hing und ein Wildschwein zeigte, das durch einen riesigen Sprung
aus dem Waldesdunkel ein Jägerfrühstück in einer Waldlichtung
störte, dass die Jäger sich hinter Bäume versteckten
und die Teller und Speisen in die Luft flogen, hat mich gewiß noch
viel besser unterhalten.
Es bleibt mir nichts übrig, Liebste, als zu warten, bis Du Dich wieder
fassen kannst. Ist Dein Vater wieder auf Reisen? Mit dem, scheint mir,
hättest Du über jeden Vorfall reden können; seine Anteilnahme
ist vielleicht nicht so groß, wie es jene der Mutter wäre, aber
desto leichter kann man Rat, und wenn nicht das, so Beruhigung von ihm
erhalten. Aber er ist ja gewiß zuhause, Du schreibst ja, dass
Du die Eltern belügen mußt. Wäre vielleicht noch eine Reise
nach Dresden nötig, die ich ebensogut wie Du besorgen könnte
und die ich mit Freuden machen würde, da ich annehme, dass Du
zum zweitenmal schwerer von zuhause fortkämest? Aber ich bohre vielleicht
durch solche Fragen mehr in Deinem Leid herum, als dass ich es beruhige.
Aber ich kann nicht anders; ich habe allmählich alle Menschen aus
den Augen verloren, sehe nur Dich und Du leidest so.
Franz
Letzte Änderung: 10.6.2016 werner.haas@univie.ac.at